Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
mehr um ihn gegangen wäre. Das ist alles, was ich sage. Darum, was für ein Mensch er gewesen ist, verstehst du?« Er schnipste die Krümel von seinem Hemd auf den Teller. »Vielleicht werde ich ja auch nur sonderbar, je älter ich werde.«
Sie setzte sich neben ihn. »Vielleicht warst du auf zu vielen Beerdigungen.«
Die Workz-Filiale in Clapham sah wohl mehr oder weniger aus wie die anderen schicken Fitnessclubs in der City: Chrom, Stahl und Rauchglas; extraflauschige Handtücher und modische Toilettenartikel; eine saftige Jahresgebühr, Anreiz genug, um ein paar Monate lang zweimal die Woche hinzugehen – bis man merkte, dass das Leben zu kurz war, um es auf einem Rudergerät zu verschwenden.
Helen saß in der Ecke der Salat-und-Smoothie-Bar und blätterte einen Werbeprospekt durch, während sie wartete.
Sie hatte ab sieben Uhr telefoniert und alles organisiert. Ein angenehmes Gefühl, wenn der Tag bereits geplant war. Und das hier war ein wunderbarer Anfang.
Sie sah Sarah Ruston die Treppe aus der Damenumkleide herunterkommen, sah sie ihre Tasche auf einen Stuhl werfen und zur Bar gehen, um sich etwas zu bestellen. Ihre Haare waren nach hinten gebunden und noch feucht. Sie trug einen schmalen schwarzen Sportanzug mit roter Paspelierung. Ihr Gesicht schaute, wenn auch nur aus der Ferne, schon wieder viel besser aus, allerdings trug sie den Arm noch in der Schlinge.
Alles in allem war sie ziemlich attraktiv.
Ruston sog an ihrem Strohhalm und wandte sich um, als ihr Blick auf Helen fiel, die aufgestanden war und ihr winkte. Sie riss die Augen auf, dann griff sie nach ihrer Tasche und ging zu ihr hinüber. »Was machen Sie …?« Sie blickte auf die Uhr. »Ich hab nicht lange Zeit, fürchte ich. Ich bin mit Patrick verabredet.«
»Das ist schon in Ordnung«, sagte Helen. »Ich hab selbst nur ein paar Minuten Zeit.«
Ruston setzte sich auf die Stuhlkante. Sie hatte die Augen gesenkt, und ihr Blick fiel auf den Prospekt. »Überlegen Sie, Mitglied zu werden?«
»Wäre schön, wieder in Form zu kommen, wenn ich das hier los bin.« Helen lächelte. »Aber sechshundert Pfund im Jahr, da versuch ich’s lieber mit Spazierengehen. Oder kauf mir ein Workout-Video, wenn ich meine verrückten fünf Minuten habe.«
»Ja, ist schon ein bisschen teuer«, sagte Ruston. »Ich wär auch nicht hier, aber die Mitgliedschaft ist bei meinem Job automatisch dabei. Eine der Filialen ist direkt neben dem Büro, und wir können in alle gehen, also …«
»Also, warum nicht?«
»Warum nicht?«
»Aber Sie sind ganz schön wild drauf, oder?« Helen deutete mit einem Kopfnicken auf die Armschlinge.
Ruston versuchte zu lächeln und hob den Arm. »Ich hab sie beim Training abgenommen und war nur eine Stunde auf dem Laufband. Wahrscheinlich werde ich das Ding nächste Woche los.«
»Trotzdem.«
Ruston nippte an ihrem Saft.
»Ich find das immer komisch«, sagte Helen. »In so eine Muckibude zu gehen, wie ein Schwein zu schwitzen, um einen schönen Körper zu haben, wenn man sich den Rest der Zeit wie ein Haufen Scheiße fühlt.« Sie wartete auf eine Reaktion. »Was ist es denn? Crack? Wohl auch Koks, nehm ich an.«
»Wie bitte?«
»Ich meine, Sie würden doch nicht direkt vom Laufband in die nächste Konditorei marschieren, oder? Das wäre Blödsinn.« Eine Angestellte in einem engen weißen Kittel ging am Tisch vorbei. Ruston schöpfte kurz Hoffnung, aber Helen schenkte der Frau keine Beachtung. »Aber nach Lewisham, in den Slum, musste das sein? Konnten Sie sich das Zeug nicht in der City von einem netten Jungen im Armani-Anzug besorgen?«
Ruston wurde kreidebleich, die schon fast verschwundenen Blutergüsse wirkten plötzlich etwas blasser.
»Sie müssen Irrsinnsschulden bei denen gehabt haben«, sagte Helen. »Ich meine, man muss schon ein ganz schönes Druckmittel gegen jemanden haben, um ihn dazu zu bringen. Zu dem, was Sie getan haben. Oder vielleicht hat Ihnen das Botox das Gehirn so lahmgelegt, dass Sie gar nicht darüber nachgedacht haben …«
Ruston schluchzte fast eine Minute. Sie drückte die Hände gegen die Augen und hielt den Kopf gesenkt. Sie machte nicht viel Lärm. Helen sah zu und fand es wunderbar.
»Was ich jetzt nicht brauche, ist eine tränenreiche Geschichte«, sagte sie, als Ruston wieder aufblickte. »Nur damit Sie’s wissen, bevor Sie auch nur einen Atemzug daran verschwenden: In Anbetracht dessen, wie ich den gestrigen Tag verbracht habe, wäre ich dafür wohl der falsche Ansprechpartner,
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