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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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sich versteckte (»Hast du Totò in letzter Zeit gesehen?« »Nein, er ist sicher weggelaufen …«) und dann, sich vor Lachen biegend, aus dem Versteck taumelte.
    Auch die Norwegischen Waldkatzen wußten, daß die Tür schlecht schloß. Wenn sie vom Flur aus hineinwollten, richteten sie sich zu voller Länge auf, um sie mit ihren kräftigen Vorderpfoten aufzustupsen. Das erzeugte ein ganz spezielles Klicken. Einmal rief ich, über den Zeitungsständer gebeugt: »Tygo, mach die Tür hinter dir zu. Es zieht.«
    Dieses verhaltene Lächeln. Es war Tonio, gefolgt von Tasja. Sein halb entschuldigendes Lachen sagte soviel wie: Hättest du nicht gedacht, was?
    Tasja in den Armen, ließ er sich rückwärts auf die Couch fallen. Sie liebte es, sich von ihrem Stiefherrchen streicheln zu lassen, doch anders als ihr Bruder mußte sie mit fester Hand hinuntergedrückt werden, sonst sprang sie vor lauter Selbstgefälligkeit von Tonios Schoß.
    »Was trinken?«
    »Ja, gib mir mal ein Bier.«
    Nach Pfingsten habe ich regelmäßig gesehen und gehört, wie die Wohnzimmertür unter dem leichten Druck von Tonios Finger aufsprang. Das Klicken drang mir ins Herz. Ich sah keine Hand im Türspalt auftauchen, und es kam auch kein Arm hinterher. Es war also doch eine der Katzen (oder ein Zugwind).
    »Minchen, in Gottes Namen … drück die Tür richtig ins Schloß. Ich kriege jedesmal einen Herzklaps, weil ich denke, es ist … Einfach so lange drücken, bis das Schloß klick macht.«
    Es half wenig. Jedesmal, wenn sie der Tür diesen Extraschubs versetzte, schossen ihr die Tränen in die (oder ausden) Augen. Sie habe das Gefühl, sagte sie, daß sie sogar die Erinnerung an den uns besuchenden Tonio aussperren müsse.
2
     
    Die neue Situation ist immer da, spürbar sogar, wenn es einem gegeben ist, einen Moment lang nicht daran zu denken. Das gilt für immer. Von jetzt an bis zum Ende meiner Tage wird Tonios Tod niemals nicht gegenwärtig sein. Ich habe ihn im AMC sterben sehen, und in diesem Augenblick hat er sich in mir eingenistet: gleichmäßig auf Kopf und Eingeweide verteilt. In meinem Hirn spiele ich endlos die Bilder seines Lebens ab. Er liegt unbequem auf meinem Herzen, drückt mir den Appetit aus dem Magen und verursacht glühende Krämpfe in meinen Därmen.
    Seine Bremsschuhe sitzen an meinen Füßen. Er verlangsamt alles.
3
     
    Ich bin gerade der Richtige, Tonio Unvorsichtigkeit vorzuwerfen.
    Bei einer allgemeinen Zulassungsprüfung der höheren Schulen Eindhovens im Jahr 1964 hatte sich meine Eignung fürs Gymnasium gezeigt. Es lag also nahe, daß ich das Augustinianum besuchte. Meine Mutter freute sich über das Ergebnis, nicht wegen der großen Bedeutung dieser Schulform (davon hatte sie nur eine schwache Vorstellung), sondern weil das Augustinianum auf der »sicheren« rechten Seite des Eindhovenseweg lag, so daß ich morgens mit meinem verschlafenen Kopf nicht über eine gefährliche Kreuzung nach links zu einer der anderen höheren Schulen abbiegen mußte. Meine Freunde von der Volksschule wechselten aber alle ans St. Joriscollege an der Elzentlaan, was morgens das Überqueren der risikoreichen Kreuzung erforderte. Ich wollte unbedingt mit den alten Freunden zusammenbleiben, davon ließ ich mich auch nicht durch tausend mütterliche Ermahnungen abbringen – selbst nicht durch das Argument, daß die Hogere Burgerschool, die Schulform des St. Joris, bereits so gut wie abgeschafft war und ein fünfjähriges Rückzugsgefecht angetreten hatte.
    So fuhr ich also von September ‘64 an jeden Morgen mit meinen Dorfkameraden Wil und Hans von Geldrop nach Eindhoven. Wenn wir uns der Stadtgrenze Eindhovens näherten, ließen wir das Augustinianum rechts liegen und bogen kurz darauf an einer Kreuzung ohne Ampeln nach links ab, über die stark befahrene Straße Richtung St. Joris: alles zusammen der permanente Hintergrund für die Alpträume meiner Mutter.
    Sie hatte insofern recht, als ich, vor allem in der Frühe, ein träger Träumer war, der tief in Gedanken hinter seinen lebhaft schwatzenden Freunden her radelte. Es wäre vielleicht effektiver gewesen, wenn sie mir nachdrücklich, zum Beispiel wegen des anzunehmenden Schwierigkeitsgrads der Gymnasialfächer, vom Besuch des Augustinianum abgeraten hätte. Meine Halsstarrigkeit läutete lebenslange Reue wegen der falschen Schulwahl ein. Auf dem Augustinianum saß wenigstens der unbeliebte ehemalige Klassenbeste, wohingegen vom Joris alle meine früheren Volksschulfreunde nach den

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