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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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was für‘n großer.«
    Er achtete allerdings darauf, daß es nie bewundernd klang. Der Ton war der einer eintönig heruntergeleierten Lektion, die nun eben mal von ihm erwartet wurde. »Boh, was für‘n großer.«
    Einmal, er muß ungefähr elf gewesen sein, kam Tonio, keuchend vom Treppenlaufen, in mein Arbeitszimmer gestürmt. Er stellte sich neben meinen Schreibtisch und ließ ohne Einleitung seine Hose und Unterhose fallen. Mit durchgedrücktem Rücken hielt er mir zwischen Daumen und Zeigefinger sein Geschlecht hin. Als Sohn einer jüdischen Mutter war er zwar Jude, aber nie beschnitten worden.
    »Hier tut es so weh«, sagte er und zeigte auf die gerötete Vorhaut, die wie meine ziemlich lang war, aber anscheinend nicht sehr weit, sondern eher zu eng. »Mama hat gesagt, ich soll dir das zeigen.«
    »Das scheint leicht entzündet zu sein«, sagte ich. »Du mußt den Zipfel da nicht nur außen waschen, sondern auch innen.«
    »Das genau tut ja so we-eh-eh .« Er zitterte affektiert und imitierte dabei in Art eines Zeichentrickfilms jemanden, der einen Stromschlag abbekommt. »Das ist viel zu stramm.«
    »Du mußt immer, wenn du dich wäschst, den Zipfel gründlich einseifen. Und dann probieren, ihn jedesmal etwas weiter zurückzuschieben. Bis es eines Tages nicht weiter geht. Viel Seife. Jede Menge Seife. Tüchtig üben. Du wirst sehen, mit der Zeit wird der Zipfel weiter und tut nicht mehr weh.«
    »Ja, aber … ja, aber«, sagte er mit gespielt kleiner Stimme,»wenn meine Hand voll Seife ist, kann ich nichts mehr festhalten.«
    »Herrgott noch mal, dann stell eben einen Eimer Sägemehl daneben.«
    Mit dem ernstesten Gesicht der Welt zog er die Hose hoch. Bevor er sich umdrehte und ging, sah er mich noch einen Moment lang starr und ein wenig traurig an.
    »Was machst du jetzt?« fragte ich.
    Er konnte sich nicht länger beherrschen und prustete los. »Meinen Zipfel einseifen natürlich. Meinen Zipfel einseifen, was sonst.«
    Und weg war er. Ich hörte ihn lachend die Treppe hinunterrennen. Zuerst dachte ich: Er erzählt das jetzt seiner Mutter. Doch er machte einen Stock tiefer vor dem Badezimmer halt, in dem gleich darauf Wasser rauschte. Zum erstenmal fragte ich mich, ob er nicht besser gleich nach der Geburt hätte beschnitten werden sollen. Wenn er tatsächlich auf genetischem Weg meine Vorhaut geerbt hatte, könnte er aufgrund einer falschen Art von Empfindlichkeit bei künftigen Bumsereien Ärger bekommen. Wenn der Schmerz stärker war als die Lust, lauerte Unvermögen.
    Ich drehte die Hähne zu und trat aus der Dusche. Etwa ein halbes Jahr später hatte Mirjam mir leicht peinlich berührt, aber kichernd von einem Fernsehabend mit Tonio (inzwischen zwölf) und seinen Freundinnen, den Schwestern Merel (dreizehn) und Iris (vierzehn), berichtet. Mit Merel ging Tonio schon seit Jahren, doch in dieser Konstellation war die hochbegabte Iris unabdingbar: Sie war die Kreativste des Trios und riß die beiden anderen mit neuen Abenteuern und Spielen, die sie sich ausdachte, immer wieder aus ihrer Lethargie. An besagtem Abend sahen sie sich alle zusammen den Film Türkische Früchte an. Sie hatten den Anfang verpaßt und wurden sofort mit dem von seiner Frau verlassenen Rutger Hauer konfrontiert, der sein Heimweh mit an die Wand geklebten Fotos von ihr nährt.
    »Mist, verdammter«, rief Rutger zitternd, »Mist … dann leck ich dir den Scheiß vom Arsch.« (Oder so ähnlich.)
    Tonio mußte laut darüber lachen, doch die Mädchen waren verdattert. »Was macht er jetzt?« fragte Merel.
    »Sich einen runterholen natürlich«, sagte Tonio lachend. »Er holt sich einen runter.«
    »Was ist das?« fragte Iris, die den beiden anderen sonst immer alles erklären mußte.
    »Einen runterholen«, rief Tonio triumphierend. »Daß du das nicht weißt , Iris.«
    Ich hatte eine Dusche genommen, die nur eine Spur wärmer war als kalt, aber ich konnte mich abtrocknen, soviel ich wollte, der Schweiß rann mir in Strömen über den Leib. Daran war wohl nicht nur die Hitze dieses Sommertags schuld. Ich hätte etwas darum gegeben, wenn ich mich einfach in weitem Hemd und Trainingshose auf die Veranda hätte setzen können, um mich, bei abgestellter Klingel, langsam dem Vergessen entgegenzutrinken. Ich schwitzte von all dem, was ich nicht wissen wollte.
    O Gott, mach, daß Jenny diese Blasenentzündung noch einmal bekommt … na ja, nicht zu schlimm, das arme Kind … aber schlimm genug, damit sie im letzten Moment absagt … es kann

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