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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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und zum Flachdach hinaufführte.
    »Dafür muß ich aber erst die Markise hochmachen.«
    Mit dem Elektroschalter, links von der Balkontür, ließ Tonio die Verschattung hochsurren. »Ulkig.« Er nickte in Richtung eines Bretterstapels an der Balkonbrüstung. »Teile von meinem alten Stockbett.«
    »Hast du in einem bemoosten Stockbett geschlafen?« fragte Jenny.
    »Als ich es zerlegt habe, weil ich endlich mal wieder in einem richtigen Bett schlafen wollte, waren die Bretter noch blank. Und lackiert. Sieh dir an, wie sie jetzt aussehen. Total grün angelaufen vom Regen. Ich versteh nicht, warum mein Vater die Bretter hier … So, jetzt können wir aufs Dach. Du als erste?«
    »Nein, du. Die Sprossen sind gräßlich weit auseinander.«
    Mit Apparaten behängt, kletterte Tonio die Leiter hinauf.
     
    Die Fotoserie, die er auf dem Dach geschossen hatte, war die einzige, mit der er nicht zufrieden war. Jenny zufolge lieferten die Dächer ringsum mit einer Terrasse hier und da keinen brauchbaren Hintergrund. Sie waren ziemlich schnellwieder hinuntergegangen – zurück in Tonios ehemaliges Jungenszimmer, in dem das Stockbett mal gestanden hatte, manchmal mit Merel drin.
23
     
    Ich konnte nicht aufhören. Wie am Pfingstmontag (jetzt aber mit mehr Wissen) ging ich immer wieder den Weg, den Tonio mit Jenny durchs Haus genommen haben mußte. Vom Garten ins Wohnzimmer im ersten Stock und von dort zu seinem ehemaligen Zimmer im zweiten Stock – und noch eine Treppe hinauf in meine Arbeitsetage.
    Im Wohnzimmer bezeichnete der zurückgelassene Styroporaufhellschirm noch immer die Ecke, in der Tonio das Mädchen fotografiert hatte: in der Nähe der Vitrine mit seiner Steinsammlung. So intensiv ich auch schnupperte: Dort hing kein Geruch mehr nach ungeleerten Aschenbechern. Beim ersten Herumschnüffeln, an jenem Donnerstag nach unserer Rückkehr aus dem Amsterdamer Bos, hatte ich Mirjam gegenüber gefolgert: »Eindeutig eine Raucherin.«
    Jetzt wußte ich, daß es Tonio gewesen war. Wieder bedauerte ich, ihn nicht dazu ermuntert zu haben, mit seinen Rauchgewohnheiten herauszurücken. Auch in seinem ehemaligen Zimmer hatte es an jenem Nachmittag nach Nikotin gerochen.
    Zum x-tenmal ging ich um meinen Sortiertisch herum, wobei ich stumm Jennys Fragen und Tonios Antworten wiederholte.
    »Ich sehe keinen Computer.«
    »Ich will ja nichts sagen … aber mein Vater ist dermaßen eigensinnig. Er hat drei von diesen altmodischen elektrischen Schreibmaschinen. Auf dem leeren Schreibtisch da drüben hat bestimmt zweimal ein super Apple gestanden … mit allem Drum und Dran … nie benutzt. Den ersten, damals wohnte ich noch zu Hause, hab ich nach und nach in meinZimmer geschleppt. Der zweite steht jetzt bei meiner Mutter. Siehst du das Gerät da? Ein altmodischer Fotokopierer. Wenn die Reihenfolge eines Textes auf einer DIN-A4-Seite ihm nicht gefällt, schneidet er das Blatt in Streifen. Die legt er in einer anderen Reihenfolge auf die Glasplatte des Kopierers, und … umständlicher geht‘s fast nicht. Wie oft hab ich ihm erklärt, daß so was viel schneller auf dem Computer geht … ohne Schere und Kopiergerät. Ich wollte ihm beibringen, wie man den Computer bedient. Er hat mir zweimal das gesamte Geld im voraus gegeben, das wir für den Unterricht ausgemacht hatten. Jedesmal gab er schon nach ein paar Anweisungen wieder auf. ›Ich hänge an meinen alten Sachen‹, hat er gesagt. ›Laß mich nur basteln.‹ Ein unmöglicher Mensch.«
    »Und das Geld?« fragte Jenny.
    »Das hab ich natürlich behalten«, sagte Tonio. » Ich war ja bereit.«
    Die Balkontür. Ich ließ mit Hilfe des Elektroschalters die Sonnenmarkise herunter, einzig und allein, um sie wieder hochschnurren zu lassen und so die Aluleiter frei zu machen.
    Das zerlegte Stockbett. Ich vermutete, daß dessen Geheimnis noch ein paar Tage in seinem Kopf herumgeisterte. (Er hatte mich an jenem Nachmittag nicht danach gefragt – zweifellos um zu verbergen, daß er in meinem Zimmer gewesen war.) Ein bemoostes Kinderbett. Hier stieg er, auf der Feuerleiter, über seine früheste Kindheit hinaus. Ein hübsches Mädchen folgte ihm. Er wollte sie auf dem Dach fotografieren. Durch die verschiedenen Kameraaugen konnte er sie ungestraft studieren.
    Obwohl mein maroder Rücken das eigentlich nicht zuließ, kletterte ich die etwas zu weit auseinanderliegenden Sprossen hinauf. Ich stellte mir vor, daß Tonio hier, während Jenny mit gespielt ängstlichen Ausrufen auf dem Weg zu ihm war,

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