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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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das Mirjam einstweilen mit der Bildseite zur Wand gelehnt hat.
5
     
    Bevor Mirjam das Gespräch wegdrückte, um nach Hause zu radeln, hatte sie mir eingeschärft, die Katzenluke zu schließen. Ich ließ sie offen. Der Efeu war heruntergesunken und hatte sich dabei ordentlich aufgerollt: Es drohte keine Gefahr, daß er weiterrutschen konnte. Auch der Goldregen stellte kein Risiko mehr dar.
    Im Juni hatte ich Mirjam einmal um sechs Uhr morgens auf der Bibliotheksleiter ertappt, die sie an den Baum gelehnt hatte, um Tygo, der sich nicht mehr heruntertraute, aus einer Astgabel zu befreien. Eine gute Bibliotheksleiter besitzt eine mit Scharnieren befestige Vorrichtung, die sicheren Haltan höher gelegenen Bücherborden bietet. Diese Vorrichtung wackelte jetzt am runden Stamm, und die Leiter schwankte mit, drauf und dran, Mirjam, die ihren Arm nach der Katze ausstreckte, abzuwerfen. Alarmiert durch ihre Lockrufe, war ich aus dem Bett gestiegen und auf den Balkon getreten, von wo ich auf ihre Rettungsversuche hinabsah. Ich traute mich nicht, ihr zuzurufen, sie solle blitzartig herunterkommen, weil ich Angst hatte, sie würde erschrecken – mit den entsprechenden Folgen.
    Die Leiter schwenkte um fast 180 Grad herum, doch Mirjam gelang es, den schweren Kater vom Baum zu heben und auf den Erdboden zu setzen.
    »Minchen, tu das bitte nie mehr. Dafür ist so eine Bücherleiter nicht gedacht. Ich verkrafte wirklich keinen weiteren Unfall mehr. Laß das blöde Viech ruhig zwei Tage auf dem Baum hocken und ruf dann die Feuerwehr. Man kann seinen Katzenfimmel auch übertreiben.«
    Durch diesen Vorfall entdeckten wir wieder einmal, daß wir zu keinem normalen häuslichen Streit mehr fähig waren. Eine gereizte Bemerkung, das geringste Lautwerden der Stimme, eine böse Miene – das alles gab uns das Gefühl, wir würden Tonio hintansetzen.
6
     
    Ich ging wieder nach oben, zurück auf den Schlafzimmerbalkon. Über die Efeurolle und zwischen den welligen Falten des restlichen Teppichs hüpfte inzwischen gut und gern ein Dutzend Eichelhäher. Ich bin kein fanatischer Vogelfreund, aber einen Eichelhäher kann ich erkennen: an seinem beigefarbenen Federkleid, seinem schwarzweißen Schwanz, seinem wie eine palästinensische Kufiya gesprenkelten Flügelrand. Auf dem Zaun zu Nachbar Kluun saßen auch noch ein paar.
    Ich habe in der Zeitung davon gelesen. Aus Osteuropa,wo sie gut gebrütet haben, sind Zehntausende von Eichelhähern in den Ardennen eingefallen, um sich von dort aus auf den Weg in Richtung Niederlande zu machen, auf der Suche nach Eicheln. Die Invasion hat gerade erst begonnen. In den kommenden Wochen werden hunderttausend erwartet. Die in unserem verwüsteten Garten, das waren vielleicht die Kundschafter. Ich hatte sie gestern zum erstenmal gesehen. Wie verwundert, desorientiert, hüpften sie jetzt auf den Haftwurzeln des Efeus herum, möglicherweise auf der Suche nach ihrer gestrigen Unterkunft. Eichelhäher stehen im Ruf, ziemlich zerstreut zu sein und daher leicht die Aufbewahrungsorte für ihren Wintervorrat an Bucheckern zu vergessen. Genau diesen Eindruck machten sie auf mich: Hier muß es irgendwo sein … wir haben sie wieder viel zu gut abgedeckt …
    Durch die Katzenklappe tauchten jetzt Tygo und Tasja auf, die mit norwegischer Tatkraft dem Herumgestümper der Eichelhäher ein Ende bereiteten. Die Vögel flogen über die Gärten davon. Die Katzen ihrerseits spähten erstaunt in ihrer neu gestalteten Wildnis umher. Auf behutsamen Pfoten erklomm Tygo die große Rolle, während Tasja am zersplitterten Stamm des Goldregens schnupperte.
    »Tasja, den Baum brauchst du doch jetzt nicht mehr, um näher an die Vögel ranzukommen«, sagte ich leise. Sofort wandte die Katze ihren silberweißen Kopf in meine Richtung, wobei sie ein paarmal lautlos ihr Maul öffnete. Danach gesellte sie sich zu ihrem Bruder auf den hohen Hügelrücken.
    »Über den Efeu sollten wir uns weiß Gott nicht auch noch aufregen.« Im Schlafzimmer hinter mir Mirjams Stimme, atemlos vom Treppensteigen. Frauenabsätze, die über das Parkett dröhnten. Sie stellte sich neben mich und schaute in die Tiefe. »Ja, ich weiß … ein einziger Trümmerhaufen, aber so ist es jetzt eben. Es sind schlimmere Dinge passiert.«
    »Das ist es ja gerade, Minchen … wegen dieser schlimmeren Dinge haben wir da unten, auf den paar Quadratmetern, fast vier Monate lang gesessen und getrauert.«
    Ich deutete auf den gußeisernen Rahmen der kleinen Laube, der sich unter der

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