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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Mingels
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Sie ist hübscher als ich und fünf Jahre jünger. Er hat leise gelacht, als sie das sagte. Hat ihr nicht widersprochen, vielleicht weil es offenkundig war, dass sie das erwartete.
    Sie sieht, dass Tristan zur Tür hereinkommt. Dass er sich suchend umschaut. Dass er sie findet und lächelt. Sie sieht weg. Als er an den Tisch herantritt, sagt sie, Tristan, und tatsächlich klingt sie überrascht. Tristan sagt: Na, so was. Was zu viel ist, denkt sie. Dann stellt sie die beiden einander vor, nickt, als Tristan auf den dritten Stuhl zeigt. – Darf ich? – Sicher. – Sie erklärt Christa, wer Tristan ist, mein Therapeut, sagt sie spöttelnd, dein Berufsberater, korrigiert er sie und setzt nach: Außerdem so was wie ein Freund. Christa sieht lächelnd von einem zum anderen, und vor dem Fenster des Cafés setzt Schneefall ein, verspielt und richtungslos, und dann die Dunkelheit.
    Als sie nach Hause gehen, sagt Christa, du magst ihn, gib’s zu, und Anne sagt: Ja, wie einen Freund.
    Nein. Christa ist stehen geblieben, schüttelt den Kopf, sieht sie abwartend an. Mehr als das.
    Hör schon auf.
    Anne zieht sich die Mütze tiefer in die Stirn und legt den Kopf in den Nacken. Der Himmel ist fast schwarz, die weißen taumelnden Flocken davor erinnern sie an Nachtfalter.
    Sie sagt: Ich kenne ihn kaum.
    Ich finde ihn toll, sagt Christa. Es klingt gönnerhaft. Als wolle sie Anne loben für etwas, das sie selbst gern besäße.
    Anne sagt: Geht so.
    Und warum nicht? Warum solltest du dich nicht auch einmal verlieben?
    Ich bin nicht verliebt, sagt Anne.
    Ist doch schön, sagt Christa.
    Ach ja, sagt Anne, findest du? Besonders für David wäre das schön, nicht wahr?
    Der muss davon ja nichts wissen, sagt Christa. Sie hat die Brauen hochgezogen und lässt Anne nicht aus den Augen. Die Schneeflocken bleiben sekundenlang auf ihren Haaren liegen und schmelzen dann.
    Hast du keine Mütze dabei?, fragt Anne.
    Du weißt doch, dass ich nie Mützen anziehe, sagt Christa.
    Im Schaufenster des Spielzeugladens fährt eine Eisenbahn im Kreis, an Häusern, Bäumen, einer Kirche vorbei, vorbei an zwei winzigen Plastikfiguren, die einander zugewandt vor der Schranke stehen. Im Licht einer einzelnen kleinen Lampe dreht sie ihre Runden. Anne legt das Gesicht ans Fenster, versucht im dunklen Ladeninneren etwas zu erkennen. Geht weiter.
    Ich dachte, du magst David, sagt sie.
    Natürlich mag ich ihn. Ich liebe ihn, ehrlich. Aber was hat das damit zu tun?
    Würdest du bitte aufhören, so naiv zu sein? Anne bleibt abrupt stehen, so dass Christa gegen sie läuft. Was hat das damit zu tun?, wiederholt sie. Na, was denkst du wohl? Irgendeine Idee, was das den Ehemann angehen könnte?
    Bevor Christa antworten kann, spricht sie schon weiter.
    Ach, nein, ich vergaß, in deinem Kosmos spielt das ja keine Rolle. Ehe, Familie, so was wie Verbindlichkeit – sie macht eine Geste der Ahnungslosigkeit – kennst du ja nicht. Jeder nimmt, was er kriegen kann, nicht wahr? Und wenn man nur geschickt genug ist, geht’s auch allen damit gut.
    So in etwa, sagt Christa trotzig. Weil es nämlich nur normal sei, dass man nicht sein Leben lang den gleichen Mann liebt. Oder die gleiche Frau. Und weil es eben passieren könne, dass die Liebe sich nicht an das hält, was man ihr vorschreibt.
    Und dann?, fragt Anne. Dann kann man nichts dagegen tun? Muss dem nachgeben? Oder kann man auch verzichten, geht das nicht?
    Ich weiß es nicht, sagt Christa. Ehrlich nicht.
    Sie hat die Hände in ihre Manteltaschen gesteckt, läuft langsam neben Anne her. Sieht sie nicht an.
    Ich konnte es nie, sagt Christa. Und so leid mir manches davon auch tut, und sosehr ich damit auch immer Schiffbruch erlitten habe, so kann ich doch nicht behaupten, dass ich, wenn ich wieder in der Situation wäre, irgendwas anders machen würde. Sie schnaubt leise. Sagt im Tonfall einer Gouvernante: Un-ver-besser-lich.
    Ja. Das bist du.
    Und jetzt?, fragt Christa.
    Und jetzt, sagt Anne. Weiß auch nicht.
    Meine Wut, denkt sie, hat gar nicht Christa gegolten. Nicht auf sie bin ich böse. Nur auf mich selbst.
    Sie sagt: Kein Wort zu David. Fasst sich gleich darauf an die Stirn. Hörst du, wie das klingt? Wie abgeschmackt und gemein?
    Halb so schlimm, sagt Christa.
    Und natürlich täuscht sich Anne. Da ist kein Triumph in Christas Stimme, keine Zufriedenheit darüber, dass sie ein Geheimnis teilen. Eines, das Anne endlich von ihrem Sockel stößt, von dem herab sie ihre kleine Schwester trösten kann. Christa

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