Tontauben
mich nach ihm umgeschaut. Aber ich habe ihn nie wieder gesehen, und inzwischen – sie rechnet im Kopf nach: mehr als fünfundzwanzig Jahre sind vergangen – inzwischen würde ich ihn nur noch an seinem Feuermal erkennen.
Nach einer Stunde drehen sie um, gehen den gleichen Weg zurück, der Hund auf Annes Arm ist warm und bebend. Sie legt beide Hände um ihn, aber er hört nicht auf zu zittern.
Tristan öffnet das Auto und setzt den Hund auf den Fahrersitz. Dann umarmt er Anne. Zieht sie an sich. Schiebt seine Hände unter ihre Jacke, ihren Pullover. Fährt unter den Bund ihrer Hose, küsst sie, es ist keine Luft zwischen ihnen. Er legt seinen Kopf auf ihre Schulter, er sagt, du fehlst mir, er sagt: Fast immer. Der Hund winselt, sie kann hören, wie seine kleinen Pfoten gegen das Fenster stoßen. Ja, sagt sie, ich weiß.
Im Wegfahren winkt sie Tristan zu. Der Hund liegt neben ihr auf dem Beifahrersitz. Zusammengerollt, als wollte er Platz sparen. Als wollte er sich so klein machen, dass ihn jeder übersieht. Tristan hebt die Hand, dann steigt er in sein Auto. Im Rückspiegel kann sie sehen, wie er zurücksetzt und wendet. Ist das, sagt sie zum Hund, jetzt dein Platz? Der Hund sieht sie kurz an und legt seinen Kopf zurück auf die Pfoten. Okay, sagt sie, dein Platz.
Sie geben dem Hund einen Namen, der so ähnlich klingt wie der, den er bereits trug. Der Labrador beschnüffelt ihn ein paar Mal und beschließt dann, ihn zu mögen und nicht ernst zu nehmen, wie ein Spielzeug oder einen Ball. Er sieht seltsam aus, sagt Christa, und Anne sagt: Aber die Augen, schau dir mal die Augen an.
David ist schon seit einer Stunde im Bett und sie sitzen immer noch in der Küche. Schenken sich Tee nach aus einer blauweißen Kanne. Christa dreht sich eine Zigarette und Anne zündet sie an und gibt sie ihr zurück. Sie muss nicht husten, aber sie mag den Geschmack nicht mehr. Sie erinnert sich daran, wie gern sie früher geraucht hat. Wie schön sie es fand, sich eine Zigarette anzünden zu können, wenn ein Gespräch sie langweilte. Wie tröstlich es war, den Weg des Rauches zu verfolgen, wie er den Hals hinunterglitt und dann aus Nase oder Mund wieder hinausströmte. Die Asche abzustreifen, indem man die Zigarettenspitze ganz leicht gegen den Boden des Aschenbechers stieß.
Christa sagt: Als Kind habe ich immer versucht, dich nachzumachen, hast du das eigentlich je bemerkt? Vielleicht kann ich es noch, warte mal.
Sie stützt den Ellenbogen auf, das Kinn in die Hand, während die andere über den Tisch fährt, um unsichtbare Krümel zu beseitigen. Ein Lächeln, schuldbewusst oder kokett, unecht auf jeden Fall, denkt Anne. Dann sagt Christa ein paar Worte – hey, hey, was soll’s, das glaubt man – und presst die Lippen zusammen zu einem kleinen, albernen Entenschnabel. Sie lacht, sie sagt: Ich kann’s nicht mehr, aber ich war wirklich gut darin.
Das soll ich gewesen sein?, fragt Anne.
Ja. Christa nickt. Komm schon, so unähnlich war es nicht.
Sie zieht an ihrer Zigarette, bis die Spitze aufleuchtet. Behält den Rauch kurz in den Lungen, stößt ihn dann energisch aus.
So habe ich aber nie geraucht, sagt Anne.
Nein, sagt Christa. So rauche ich, nicht du.
Sie sieht aus dem Fenster, zeigt auf die Lichter im Garten der Nachbarn. Ein Weihnachtsmann, baumhoch, gelb und rot leuchtend. Bei Tag sieht man die Eisenkonstruktion, an der die Glühbirnen angebracht sind, und die Kabel, die zum Haus führen. In der Nacht nur einen Weihnachtsmann und einen Schlitten voller Geschenke. Sonst gar nichts.
Hast du das gesehen?
Klar, sagt Anne. Die machen das immer. Weihnachten, Valentinstag, Ostern. Irgendwann im März zum irischen Nationalfeiertag ein Kleeblatt.
Sie sagt: Die machen das für ihre Kinder. Lass sie doch.
Lass ich ja, sagt Christa. Sie sieht Anne abwägend an, dann sagt sie: Pass mal auf. Sie holt tief Luft. Am Samstag fahre ich nach Hause. Doch, sagt sie, obwohl Anne gar nicht widersprochen hat, es ist an der Zeit. Und für dich habe ich auch etwas. Sie schweigt einen Moment, dann sagt sie: Ein Alibi.
Ein was?, fragt Anne.
Ein Alibi. Für’s ganze Wochenende.
Anne kann sehen, dass Christa aufgeregt ist. Sie muss daran denken, wie Christa Geschenke macht. Wie nervös sie ist, ob das, was sie schenkt, gemocht werden wird. Wie schnell sie erklärt, wann sie es gekauft hat und wo. Und was sie sich vorgestellt hat, als sie es kaufte. Meistens sind es Sachen, die eher zu Christa passen als zu Anne. Manchmal stellt sich
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