Tontauben
wieder da, sagt sie, und ich will diesmal ein bisschen bleiben.
Gut so, sagt David.
Wenn er irritiert sein sollte, lässt er es sich nicht anmerken. Anne spürt eine Woge der Zuneigung, die im Bauch ihren Anfang nimmt und ihre Brust flutet, ihren Hals, der davon eng wird.
Als sie im Bett liegen, sagt David: Hauptsache, der Schwede kommt nicht.
Nein, sagt Anne, der kommt bestimmt nicht.
Wir sollten, sagt David, als er sich schon von Anne weggedreht hat, einen Mann für sie suchen.
Sie kann hören, wie er gähnt.
Was ist mit deinem Tristan?, fragt er, und Anne sagt: Der ist versorgt, glaube ich.
Lautlos wiederholt sie seinen Namen. Tristan. Dein Tristan. Kurz war sie erschrocken, als David seinen Namen nannte. Und gleich darauf erfreut. Als wäre er anwesend, nur weil sie über ihn sprachen.
Sie flüstert: David? Dann sagt sie: Tristan hat eine Frau und eine Geliebte, das ist zu viel, oder?
Aber David schläft schon. Sie legt ihm eine Hand auf den Rücken. Überlegt, wer die Geliebte ist. Wen sie meinte, als sie das sagte. Die Mutter seiner Tochter. Oder sich selbst.
Alle paar Wochen hat Anne einen Traum, der sie ängstigt. Sie wacht mit rasendem Herzschlag auf und ist sich sicher, geschrien zu haben, aber David sagt immer Nein. Nein, du hast nicht geschrien. Sie versucht, Christa den Traum zu erzählen. Er ist verworren und uninteressant wie alle Träume, die man erzählt, und zu offensichtlich. Christa sieht sie aufmerksam an. Anne weiß, dass sie gleich eine Deutung versuchen wird, und darum sagt sie: Lass uns über etwas anderes reden, über diesen Vogel zum Beispiel, der den Tag totzupfeifen versucht.
Sie zeigt auf einen Zaunkönig im Baum.
Oder, sagt Christa, über diese Katze, die darauf wartet, dass er vom Baum fällt, direkt vor ihre Schnauze.
Was machst du, wenn ich arbeiten bin?, fragt Anne, und Christa sagt: Ich langweile mich ein bisschen, denke über mein Leben nach und schaffe eine solide Unordnung um mich herum. Sie lacht. Ich weiß mich schon zu beschäftigen, keine Angst.
Als Anne nach Hause kommt, hat Christa das Haus geputzt. Sogar die Fenster sind sauber und im Keller hängt Wäsche auf der Leine.
Du hängst die Sachen so akribisch auf wie Mama, stellt Anne verwundert fest, und Christa sagt: Erst seit kurzem, vorher habe ich mich dagegen gewehrt.
Nachmittags gehen sie in die Stadt oder ans Meer. Einmal in eine Ausstellung im Haus der Kurverwaltung, Borderline-Kunst.
So ungefähr musst du dir meinen Traum vorstellen.
Anne zeigt auf ein Bild, das schwarz ist mit einem gelben ausfransenden Fleck in der Mitte. Langsam erwachende Energie, heißt es.
Also wie eine Explosion, sagt Christa fragend.
Eher wie ein geplatztes Ei. Malst du noch?
Nicht mehr oft, sagt Christa. Es ist zu traurig, dass jemand, der etwas so gerne macht, es so wenig kann.
Abends kochen sie gemeinsam, dann holen sie David aus seinem Arbeitszimmer, der nicht genau weiß, ob er sich als Gastgeber oder Gast fühlen soll. Später schauen sie Fernsehen oder spielen Monopoly. Anne kauft ein Hotel nach dem anderen und verlangt ruinöse Mieten. Dann verleiht sie Geld zu überhöhten Zinsen. Es machte schon früher keinen Spaß, mit dir zu spielen, klagt Christa, und Anne sagt: Kein Selbstmitleid, wenn ich bitten darf.
Manchmal ruft Tristan an, Anne presst den Hörer ans Ohr und gibt einsilbige Antworten. Sie wundert sich, dass David nichts merkt, und dann fragt sie sich, ob auch sie manches nicht bemerkt oder ob sie einfach misstrauischer ist als er.
Am Freitagnachmittag lotst sie Christa in ein Café. Christa schaut aus dem Fenster, den Passanten hinterher.
Der Mann mit der Fellmütze sieht aus, als säße ihm ein Koala auf dem Kopf, sagt sie. Sie kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Einer, der bei jedem Schritt Angst hat zu fallen. Sie lacht. Ist das nicht komisch, dass alle aussehen, als hätten sie noch Mottenkugeln in den Taschen?
Anne sieht sie belustigt an, und Christa sagt: Ich lästere nicht, ich beobachte nur.
Natürlich lästerst du, sagt Anne.
Sie hat sich so gesetzt, dass sie Tristan sehen muss, wenn er zur Tür hereinkommt. Vielleicht war das nicht klug. Vielleicht wäre es besser gewesen, sich mit dem Rücken zur Tür zu setzen, dann würde es ihr leichter fallen, überrascht zu wirken. Aber dann würde er sie vielleicht nicht erkennen. Würde nur ihren Rücken sehen, der aussieht wie der aller anderen, und wieder hinausgehen. Ich bin gespannt auf deine Schwester, hat er gesagt.
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