Tontauben
höfischen Damen anschließen sollten. Den Schlusspunkt würde eine Sichtung des Mittelalter-Booms in populären Filmen, Büchern und Spielen setzen.
Esthers Referat war für den Nachmittag vorgesehen. Sie hatte die ganze Nacht wachgelegen, auch wenn sie sich immer wieder versicherte, nicht aufgeregt zu sein. Die Umgangssprache auf der Tagung war Englisch. Als Esther mit ihrem Vortrag begann, hatte sie den Eindruck, die Worte sperrten sich in ihrem Mund wie eine zähe Masse. Sie hörte sich selbst reden, den allzu deutschen Klang der englischen Worte, den sie durch eine übertriebene Betonung auszugleichen versuchte. Sie merkte, wie ihr heiß wurde, wie ihre Hände zitterten. Sie war durstig, aber sie brachte nicht den Mut auf, nach dem Glas Wasser zu greifen. Dann sah sie, wie der Assistenzprofessor aus Valencia, der sich am Morgen mit salbungsvoller Miene vorgestellt hatte, seinen Nachbarn anschaute, eine Spur von Verblüffung im Blick, die Andeutung eines Lächelns, das eine Einladung war, sich über sie lustig zu machen. Sie wurde wütend, und die englischen Sätze ergaben sich ihr, ließen sich mit einem Mal handhaben, klangen überzeugend und richtig.
Am Abend – Esther saß wieder neben Frank: die Sitzordnung war aus Trägheit beibehalten worden – wurden sie von einer Kellnerin bedient, deren Aussehen von so durchscheinender Blässe war, dass Esther sie für krank hielt.
Da liegen Sie falsch, sagte Frank. Er klang gleichgültig und auf nachlässige Art belehrend. Sie ist Albino, darum auch die hellen Augen.
Tatsächlich hatte die Frau wasserblaue Augen, in deren Mitte sich das Schwarz der Pupille wie ein Eindringling ausnahm. Ihr Haar war fast weiß, die ganze Person eine unwirklich helle, alterslose Erscheinung.
Ach, sagte Esther.
Frank hatte etwas an sich, das sie dazu brachte, sich dumm zu fühlen, unerfahren und einfältig wie ein Teenager. Dabei konnte er nicht viel älter sein als sie: Anfang vierzig, schätzte sie, höchstens.
Wissen Sie, Frank senkte seine Stimme zu einem Flüstern, dass Albinos in manchen Ländern als Unglücksboten gelten?
Er schob sich mit einer Hand die dunklen Locken zurück, seine Stirn war hoch, quer verlaufende Falten zeichneten sich darauf ab, schwach wie ausradierte Skizzen. Unter einem schwarzen Jackett, das alt war oder nur so scheinen sollte, trug er ein himbeerrotes Hemd, dessen offene Manschetten auf die Handrücken fielen. Die Brille mit silbernen Metallbügeln und kreisrunden Gläsern war zu klein für sein Gesicht. Ein altmodisches Relikt, das zu einer anderen Zeit, einem anderen Mann zu gehören schien. Es musste einige Tage her sein, dass er sich rasiert hatte, auf Kinn und Wangen lag ein Schatten. Selbst im Sitzen wirkte er groß. Stark und linkisch, dachte Esther, wie ein junges Tier, das von seinen eigenen Dimensionen verblüfft wird.
In anderen Ländern hingegen – Frank faltete seine Serviette zusammen, während er, scheinbar gelangweilt, sein Wissen darbot – galten Albinos lange Zeit als göttlich, sie waren nicht gerade Glücksbringer, aber mit übersinnlichen Fähigkeiten ausgestattet. Wenn Sie also noch einen Wunsch haben, er lächelte maliziös, ein Glas Wein zum Beispiel oder ein Wasser, sollte das drin sein.
Sie sieht schön aus, sagte Esther und wandte sich wieder ihrem Essen zu.
Frank sagte sehr deutlich: Sie sehen schön aus.
Er sagte es so, als schlösse seine Aussage jene von Esther aus. Als verkündete er eine unumstößliche Wahrheit, kein Kompliment.
Danke, sagte Esther, und er fragte: Wofür?
Das Essen war beendet. Sie blieben sitzen, während die anderen bereits aufstanden und sich in Grüppchen in den angrenzenden Raum begaben, den ein kleines goldenes Schild neben der Schiebetür als Lounge auswies.
Aber Ihre Stimme ist seltsam, fuhr Frank fort, so unweiblich. Sie reden – seine Worte wurden begleitet von einem kleinen rauen Lachen – wie ein ganzer Kerl.
Er sah Esther abwartend an, und sie zuckte die Achseln und erhob sich.
Warten Sie!, sagte er und legte ihr eine Hand auf den Arm. Das war nicht sehr freundlich von mir, entschuldigen Sie. Fragen Sie mich nicht, warum ich Sie reizen will.
Er sah sie von unten herauf an und schien für einen Moment wirklich zerknirscht.
Vielleicht, überlegte er, weil es so schrecklich langweilig hier ist. Kann das sein?
Er beugte sich näher zu Esther hin und zog sie gleichzeitig zurück auf ihren Stuhl.
Ich verrate Ihnen etwas, sagte er im Tonfall der Konspiration. Jede Tagung,
Weitere Kostenlose Bücher