Tontauben
ja? Und diesmal war eben ich die Auserwählte.
Sie hauchte ans Seitenfenster. Dann rieb sie eine kleine Stelle frei und starrte angestrengt hindurch.
Das ist toll, sagte sie. Das ist wirklich toll.
Sie wandte sich vom Fenster ab, hinter dem es ohnehin kaum etwas zu sehen gab, und schaute ihn herausfordernd an. Er sah verkniffen auf die Fahrbahn, beschleunigte und schaltete trotzig einen Gang höher.
Herrje, sagte er unwirsch, dann frag halt nicht.
Dann frag halt nicht, äffte sie ihn nach. Sehr kluge Antwort.
Sie schnaubte abfällig und holte tief Luft, um zum nächsten Angriff überzugehen. Ihr Herz klopfte heftig, sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick weinen zu können. Nicht so sehr, weil sie traurig war. Von Trauer, das musste sie sich eingestehen, spürte sie im Moment nichts. Nur dass sie wütend war, merkte sie. Aber später würde sie traurig sein, das wusste sie. Und ihn würde es verwirren, wenn sie weinte – jeden Mann verwirrte das. Mal schauen, ob das noch nötig wird, dachte sie.
Lass mich nur nachvollziehen, wie das ging, begann sie wieder. Bist du mit der festen Absicht hergekommen, dir was zum Ficken zu suchen? Oder hat sich das nur so ergeben? War ich einfach die Erstbeste, die bereit dazu war? Hast du es womöglich vorher schon bei anderen versucht – bei Claire vielleicht oder bei Lone?
Ja, sagte Frank. Klar doch.
Er schaute kurz zu ihr rüber, dann sagte er voller Verachtung: Du warst tatsächlich die allerletzte Möglichkeit.
Natürlich hatte sie ihm diesen Brocken hingeworfen. Aber sie hatte nicht erwartet, dass er ihn aufnehmen und zurückschleudern würde. Trotzig wie ein Kind, bereit, alles zu zerstören, nur um zu siegen. Sowenig sie ihre Frage ernst gemeint hatte, sowenig glaubte er an das, was er sagte, das war offensichtlich. Es war verwunderlich, dass es trotzdem schmerzte. Und einen wahren Kern hatte die Sache ja vielleicht: Hatte er nicht früher schon gesagt, dass es kein Schicksal war, das sie zusammengeführt hatte, sondern Zufall? Hieß das nicht, dass sie ihm nichts bedeutete?
Er hatte das Radio wieder angestellt. Ein Lied lief. Musik, die nur aus Basstönen zu bestehen schien.
Kannst du das leiser stellen?, fragte Esther.
Sie war jetzt wirklich den Tränen nahe, sie sagte: Ginge das vielleicht, ja?
Er zog die Augenbrauen hoch und sah sie nicht an. Beide Hände am Lenkrad hatte er sich entschlossen, sie zu ignorieren. Sie drehte die Lautstärke runter und suchte nach einem anderen Sender. Ein Meteorologe, der von zu erwartenden Unwetterschäden sprach, ein plattdeutsches Hörspiel, dann wieder Musik, Schubert oder Schumann, etwas, das mit seinen Geigen und Klavierläufen wie ein Fremdkörper in diesem Wagen schien.
Ich hätte es einfach gerne gewusst, sagte sie leise.
Sie musste fast entschuldigend klingen, darum setzte sie hinzu: Wäre doch wohl normal gewesen, mir zu sagen, dass du schon mal hier warst.
Verzeihung, sagte Frank in affektiertem Tonfall. Ich habe nicht gewusst, dass ich dir Rechenschaft schuldig bin.
Er schüttelte den Kopf, als ob er sich über sie wunderte. Eine ganz und gar unmögliche Geste, fand Esther. Sie hätte Lust gehabt, sich eine Zigarette anzuzünden, aber am Handschuhfach hatte sie bereits bei der ersten Fahrt ein Nichtraucherschild bemerkt: eine Zigarette in einer Art Verkehrsschild, rot umrahmt und durchgestrichen, darunter die Worte: Don’t drive and smoke. Als ob das Zeichen alleine nicht jedem verständlich gewesen wäre. Nie würde sie so etwas irgendwohin kleben. Aufkleber waren das denkbar Dümmste. Schon einen zu kaufen war peinlich. Wo bekam man diesen Mist überhaupt? Im Supermarkt? In Tankstellen? Sie und Jean spotteten immer über die Botschaften auf den Autos. Am schlimmsten waren die Baby-an-Bord-Hinweise – wen um Himmels willen sollte das interessieren? –, nur noch übertroffen von den christlichen Aufklebern mit ihren Fischen und Kreuzen und den dazugehörigen Sprüchen, die die ganze Religion zu einem einzigen erbärmlichen Witz machten. Nicht hupen – Fahrer träumt von Jesus. Auf Achse für Gott.
Toller Aufkleber, sagte Esther. Sie war bereit zu lachen. Wenn er darauf einstiege, könnten sie sich gemeinsam ein bisschen lustig machen über ihn.
Ist nicht von mir, erwiderte Frank kühl.
Von Ara?, fragte Esther.
Sie hatte ihrer Stimme einen freundlichen Klang gegeben, als kennte sie Ara. Als sei sie mit ihr befreundet und ihre Anwesenheit in Franks Wagen kein Verstoß gegen diese Freundschaft. Ara. Was
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