Top Secret - Der Ausbruch
Platz.
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Zwei Wochen später
Angeblich zahlt sich Verbrechen ja nicht aus, aber Lisa und Vaughn Little schienen sehr gut zurechtzukommen. In den Siebzigerjahren war Vaughn Waffenhändler
im großen Stil gewesen und hatte sechs Jahre im Gefängnis von New Mexico verbracht. Als er seine Strafe abgesessen hatte, war er nach Idaho im Norden gezogen, hatte sich eine Farm gekauft und vier Töchter gezeugt. Nur Becky, die jüngste, lebte noch zu Hause.
Lisa züchtete Araberpferde und Vaughn verdiente sein Geld mit dem Umbau und der Reparatur von Motorrädern, doch diese geschäftlichen Tätigkeiten waren eher ein Hobby. Der komfortable Lebensstandard der Familie gründete sich auf die gut investierten Erlöse aus dem Waffenhandel vor dreißig Jahren.
Schnell kehrte eine gewisse Routine in ihren Tagesablauf ein. Lauren schloss sich Lisa an, lernte reiten und kümmerte sich um die Pferde. Zuvor hatte sie sich nie fürs Reiten interessiert, aber die Tiere gefielen ihr und Lisa sogar noch mehr.
An den meisten Tagen verschwand Curtis mit einem Skizzenblock auf lange Spaziergänge in den Wald. Manchmal kam er mit der Zeichnung von einem Blatt oder einem verrosteten Auto zurück, manchmal aber auch mit einer Landschaft aus unglaublich kleinen Bleistiftstrichen. Das war mehr als eine kindliche Zeichnung, sie hätte gut als die Arbeit eines professionellen Künstlers durchgehen können. Wenn es zu sehr regnete, um nach draußen zu gehen, lag Curtis auf einem Teppich, sah sich Dokumentationen im Fernsehen an und schmollte.
James trieb sich jeden Tag mit Vaughn herum, und es schien, als hätten diese beiden nur aufeinander gewartet. Vaughn hatte sich immer einen Sohn gewünscht und James hätte gerne einen Vater wie ihn gehabt. Vaughn kannte tausend Geschichten, mit denen er James zum Lachen brachte: von dem Tag, an dem er seinen Highschool-Direktor k. o. geschlagen hatte, seinen wilden Abenteuern mit dem Bikerclub der Briganten und undurchsichtigen Waffengeschäften bis zu Geschichten aus seiner Zeit im Gefängnis.
Vaughn nahm James mit, wenn er kleinere Arbeiten auf der Farm erledigte und Zäune oder Regenrinnen reparierte. Am Nachmittag schraubten sie für gewöhnlich ein paar Stunden an den Motorrädern herum. Vaughn bewies viel Geduld und erklärte James genau, wie ein Motorrad funktionierte und wie die verschiedenen Teile zusammengefügt wurden.
Normalerweise, wenn Erwachsene sich von Kindern helfen lassen, stehen die Kinder stundenlang dumm mit einem Schraubenzieher in der Gegend herum, aber Vaughn beschäftigte James richtig und vertraute ihm kleinere Aufgaben an. Er ließ ihn sogar auf einer Kawasaki-Geländemaschine auf den schlammigen Wegen der Farm herumrasen, aber die Bitten, ihn eine der Harley Davidsons fahren zu lassen, stießen auf taube Ohren.
James und Lauren schliefen im Gästezimmer in einem Doppelbett. Sie taten so, als ob es eine höllische Strafe wäre, zusammen in einem Bett zu schlafen, aber insgeheim gefiel es ihnen bestens. Spätestens eine halbe Stunde, nachdem sie eingeschlummert war, hatte Lauren es geschafft, sich den Löwenanteil der übergroßen Bettdecke zu sichern.
James zog sich leise aus und putzte sich im angrenzenden Badezimmer die Zähne. Dann versuchte er, unter die Bettdecke zu schlüpfen, ohne seine Schwester zu wecken. Er genoss die ersten Augenblicke der Wärme, betrachtete Laurens auf dem Kopfkissen ausgebreitetes Haar und lauschte ihrem Atem.
Bevor seine Mutter starb, hatte James nie darüber nachgedacht, wie sehr er seine kleine Schwester liebte. Doch seitdem quälte ihn der Gedanke, auch ihr könne etwas Unerwartetes zustoßen. Lauren könnte überfahren werden, Krebs bekommen oder während eines Einsatzes verletzt werden oder … Manchmal musste James weinen, wenn er nur daran dachte, obwohl er das nie jemandem anvertrauen würde, nicht einmal seiner Betreuerin, die er bei CHERUB gelegentlich sah.
James schloss die Augen und dachte über ein cooles japanisches Motorrad nach, von dem er in einer von Vaughns Zeitschriften gelesen hatte. In der Zeit, die er mit Vaughn in seiner Werkstatt verbracht hatte und seine Geschichten über die Biker gehört hatte,
war er zu der festen Überzeugung gelangt, dass er sich nichts sehnlicher wünschte als ein Motorrad.
Er war sich nicht sicher, ab welchem Alter man in England Motorrad fahren durfte, aber wenn es siebzehn war wie beim Auto, dann konnte dieser Traum in dreieinhalb Jahren in Erfüllung gehen. Er könnte das Motorrad
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