Top Secret. Der Clan: Die neue Generation 1 (German Edition)
können«, meinte Amy. Sie sah sich um, ob sie auch niemand hören konnte, und sprach dann leiser weiter: »Ich möchte dich auch gerne zu einem Besuch auf dem sogenannten CHERUB-Campus mitnehmen, damit du vielleicht einer ihrer Agenten wirst.«
Da Englisch nicht Nings Muttersprache war, glaubte sie, sich verhört zu haben.
»Agenten?«
»Das Prinzip, das hinter CHERUB steht, ist einfach«, erzählte Amy. »Erwachsene vermuten selten, dass ihnen Kinder nachspionieren könnten. Ich bin zum Beispiel dreiundzwanzig. Wenn ich undercover arbeiten würde, dann würde ich mich zum Beispiel mit einem Drogendealer anfreunden und anfangen, ihm einen Haufen Fragen über sein Geschäft zu stellen, und er würde wahrscheinlich vermuten, dass ich eine Undercover-Polizistin wäre.
Aber wenn du dich bei den Drogendealern aufhalten würdest, könntest du vielleicht auf einen von ihnen zugehen und fragen, ob du dir ein wenig Taschengeld dazuverdienen könntest, als Wachposten vielleicht oder so etwas. Der Dealer wird in dir nur ein Kind sehen. Für ihn kannst du mit elf Jahren kein Spitzel oder Undercover-Agent sein.«
»Zwölf«, sagte Ning. »Ich hatte letzte Woche Geburtstag.«
»CHERUB-Agenten müssen immer ein wenig besser sein als andere Kinder«, erzählte Amy weiter. »Sie müssen kräftig sein und intelligent. Sie müssen schnell laufen oder sich auch mal den Weg aus einer kniffligen Situation freikämpfen können. Du musst ein paar Eingangstests machen, bevor dich CHERUB akzeptieren kann. Danach bekommst du eine hunderttägige Grundausbildung, die wirklich sehr hart ist. Aber deinen Schulunterlagen nach zu urteilen…«
Überrascht sah Ning auf und unterbrach sie: »Aber ich bin doch in China zur Schule gegangen.«
»Ich habe meine Hausaufgaben gemacht«, erwiderte Amy und wedelte mit dem Finger. »Wir haben einen CIA-Agenten in China gebeten, einen Beamten des Bildungsministeriums in Dandong zu bestechen. Ich habe Kopien aller Akten deiner Ausbildung gelesen, die geführt wurden, seit du drei Jahre alt warst.«
»Die würde ich auch gerne mal lesen«, sagte Ning. »Ich habe mich immer gefragt, was die Leute wohl aufschrieben, wenn ich angeschrien wurde.«
»Ich bezweifle, dass es dich überraschen würde«, meinte Amy. »Offensichtlich warst du intelligent, aber leicht gelangweilt und Erwachsenen gegenüber respektlos. In den englischen Übersetzungen, die ich gelesen habe, kommt der Ausdruck auf Ärger aus einhundertsechsmal vor.«
»Und trotzdem wollen Sie mich?«, wunderte sich Ning.
»Kinder, die intelligent und gehorsam sind, sind meist nicht die besten Agenten«, erklärte Amy. »Die Schwierigen sind kühner und kreativer, und CHERUB braucht Leute, die bei Undercover-Einsätzen selbstständig denken können.«
Zum ersten Mal seit Wochen verspürte Ning so etwas wie Hoffnung und schob sich den letzten Bissen des Burgers in den Mund.
»Wenn ich meine Lehrer ärgern wollte, habe ich immer gesagt, ich würde entweder Rockstar oder Terrorist werden«, erzählte sie. »Ich habe nie daran gedacht, Geheimagent zu werden, aber ich glaube, das könnte auch lustig sein.«
Amy fuhr kurz im Hotel vorbei, um zu packen und die Rechnung zu bezahlen, und bestieg mit Ning den nächsten Zug nach London. Sie hatten das Erster-Klasse-Abteil fast ganz für sich und setzten sich einander gegenüber.
Amy hatte eine Liste mit über zweihundert Fragen, die Ning beantworten sollte, angefangen damit, ob die Piloten des Aramov-Clans mit ihrer Arbeit zufrieden waren, bis hin zu der Frage, ob Leonid Aramov lieber die linke oder die rechte Hand benutzte. Doch sie entschied sich, eine schwere und möglicherweise emotional schwierige Befragung aufzuschieben, bis sie ein wenig mehr Zeit gehabt hatte, Nings Vertrauen zu gewinnen.
Während die Landschaft an ihnen vorbeizog, räkelte sich Ning auf ihrem Platz, und Amy erzählte ihr ihre Lebensgeschichte.
Ihre Eltern waren bei einem Verkehrsunfall gestorben, als sie noch ein Baby war, und sie war im Alter von fünf Jahren zusammen mit ihrem älteren Bruder John zu CHERUB gekommen. Sie war eine erfolgreiche Agentin gewesen, hatte in Australien die Universität besucht, eine Tauchschule geleitet, mit einem älteren Mann zusammengelebt, der sich als Mistkerl herausstellte, als Bodyguard gearbeitet und vor sechs Monaten ein Angebot angenommen, für die TFU in den USA zu arbeiten.
Ning erzählte ihr im Austausch von ihrem eigenen Leben, davon, dass sie eines von Tausenden weiblicher Babys
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