Top Secret. Der Clan: Die neue Generation 1 (German Edition)
ihr Telefon, ihre Brieftasche und eine Sonnenbrille mit. Als sie auf den Gang kam, verschwanden die Köpfe der anderen Mädchen in ihren Zimmern.
Miss Xu war am anderen Ende des Ganges wieder auf den Beinen. Anstatt sich ihr erneut zu stellen, lief Ning lieber zu den Duschen. Sie durchquerte den dampfenden Raum und trat eine blaue Feuertür auf, von der aus eine Betontreppe zu einem Hof voller Kinderfahrräder führte.
Die Neuigkeiten hatten sich bereits bis zu den Jungen im Stockwerk unter dem der Mädchen verbreitet und ein paar von ihnen schrieen Parolen wie Zeig′s ihnen, Ning! oder Los, Ning! durch die Gitterstäbe. Einen Augenblick lang kam sie sich wie die Heldin in einem Film vor und im Hof drehte sie sich um und zeigte ihrer Paukschule mit beiden Händen den Mittelfinger.
»Scheiß auf die Welt!«, schrie sie.
Ning lief durch das Eisentor und eine Gasse entlang bis zu einer größeren Straße. Obwohl es erst zwanzig nach sechs war, herrschte auf der vierspurigen Straße schon viel Verkehr von Lastwagen und Fahrrädern. Sie überlegte, ob sie zum Frühstücken in ein Café gehen sollte, aber da Miss Xu ihr wahrscheinlich jemanden nachschickte, war es besser, in Bewegung zu bleiben.
Wie automatisch war Ning den kurzen Weg bis zu ihrer Schule gelaufen und stand vor dem Tor der Dandong-Grundschule Nummer achtzehn. Auf einer Leiter standen der Hausmeister und ein junger Lehrer und hängten ein Banner auf, das von den kleinen Kindern gemalt worden war: Die GS18 heißt alle willkommen zu einem fröhlichen Elterntag!
Der Gedanke an Eltern ließ Ning einen Schauer über den Rücken laufen. Ihr Stiefvater würde ausrasten, wenn er erfuhr, was sie getan hatte.
4
Während China erwachte, war die Sonne am entgegengesetzten Ende der Welt noch lange nicht untergegangen. Ryan betrachtete seine Zehen, als er vom Strand hinaufging. Unter seinen Füßen klebte der weiße Sand. Seit dreieinhalb Wochen wohnte er nun schon in Santa Cruz, Kalifornien, und immer noch hatte er das Gefühl, in einen Fernsehwerbespot gezogen zu sein.
Die acht Betonhäuser standen auf Sanddünen hinter dem Strand. Sie hatten Panoramafenster zum Meer hin, und auf der Dachterrasse befand sich ein Swimmingpool mit gläsernem Boden, sodass man vom großen Wohnzimmer aus, das darunter lag, die Schwimmer über sich beobachten konnte.
Den Hausbesitzern gehörten mehrere Hektar privater Strand und ein Hafen. Ein elektrischer Zaun hielt den Plebs fern und die Wache am Tor hatte sicherheitshalber ein Gewehr.
Vom Meer her erklang ein Quieken, als der Ex-Basketball-Star aus Haus Nummer sechs seinen kleinen Sohn ins Wasser tunkte. Ryan lief in die andere Richtung zu ein paar Zwölfjährigen, die auf einem Holzdeck saßen.
Ryans Zielperson Ethan Aramov war ein magerer Junge. Trotz der warmen Herbstnacht trug er Jeans und ein ausgeleiertes Kapuzenshirt. Er hatte wirre schulterlange Haare und war trotz seiner Kontaktlinsen immerzu am Blinzeln.
Yannis war Ethans bester Freund und ständiger Begleiter. Er war unglaublich fett und hatte eine südländisch dunkle Haut. In der Schule wurde er aufgezogen, doch Ryan bemitleidete ihn nicht, denn er war ein Unsympath hoch zehn.
»Hi, Leute«, begrüßte er sie, als er sie erreichte, und tat so, als träfe er sie ganz zufällig. »Wie läuft es mit dem Roboter?«
Ethan und Yannis waren absolute Streber. Ihre einzige Schulaktivität war der Schachclub. Sie verbrachten ganze Wochenenden bei Computerspielen, und als ob das nicht schlimm genug wäre, bauten sie Roboter. Besser gesagt, Ethan, der schlauere der beiden, baute Roboter, während Yannis danebensaß, sich kratzte und Erdnussflips aß.
»Unser Roboter ist top secret«, behauptete Yannis.
Es klang wie Wir sind besser als du , doch die Tatsache, dass Yannis zwölf war, sich aber ausdrückte, wie man es vielleicht von einem Sechsjährigen erwarten würde, ließ es lächerlich klingen.
Der Roboter basierte auf einem ferngesteuerten Auto. Ethan hatte ihn mit optischen Sensoren und einem kleinen Handcomputer ausgestattet, sodass er selbstständig mit hoher Geschwindigkeit über den Strand fahren und einem Kurs folgen konnte, der mit kleinen Hütchen abgesteckt war, wobei er Pfützen und unerwarteten Hindernissen wie kleinen Kindern, die ihm in den Weg kamen, selbstständig auswich. Für vierhundert Dollar bekam man einen Staubsaugerroboter, der das Gleiche tat, aber für einen Zwölfjährigen war es eine beeindruckende Leistung.
Ryan ging an Yannis vorbei auf
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