Top Secret - Der Verdacht
Papier mit Annas Handschrift darauf.
Die Blätter waren aus einem linierten Heft gerissen worden. Es gab keine Zeichnungen, nur saubere Listen in Russisch, geschrieben mit einem lila Gelschreiber. Jede Liste fing gleich an. Punkt eins war stets: Identität verbergen, und Punkt zwei: Gut in der Schule mitarbeiten und Englisch lernen .
Danach unterschieden sich die Listen. Einige gingen vernünftig weiter:
(3) Einen gut bezahlten Job bekommen.
(4) Georgy finden und nach England bringen.
(5) Mein eigenes Geschäft aufbauen (Friseurladen oder Autohandel).
(6) Reich werden und ein schönes Haus kaufen.
(7) Heiraten und einen Jungen und zwei Mädchen bekommen.
Andere waren Ausbrüche Annas wildester Fantasien:
(3) In viele Londoner Clubs gehen.
(4) Reiche und berühmte Leute kennenlernen.
(5) Einen attraktiven Footballstar heiraten und nach Barcelona ziehen.
(6) Georgy finden und ihm ein Haus neben unserem in Spanien kaufen.
(7) Mit dem Geld meines Mannes eine eigene Fluggesellschaft gründen.
(8) Nach anfänglichen Schwierigkeiten werde ich die reichste Frau der Welt.
(9) Leute bezahlen, die in meine Heimat gehen und alle, die ich hasse, ermorden … schön langsam!
Manche von Annas Listen waren lustig, andere machten Lauren traurig. Sie hatte zwar selbst nie solche Listen geschrieben, aber wenn sie nicht einschlafen konnte, tat sie etwas Ähnliches. Sie lag im Bett und malte sich ihre Zukunft aus.
Obwohl Annas Ausführungen vage waren, verrieten sie Lauren doch eine Menge. Punkt eins: Die Psychologen vermuteten, dass Anna nicht über ihre Vergangenheit sprach, weil sie traumatisiert war. Aber die Listen zeigten deutlich, dass Anna ihre Identität absichtlich verschwieg. Punkt zwei: Anna sprach nur davon, Georgy zu retten, von dem Lauren annahm, dass er der kleine Junge auf dem Foto war. Das bedeutete, dass Annas Mutter entweder tot war oder keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter hatte.
Das waren nicht unbedingt die konkreten Informationen, die Lauren brauchte, um die Menschenhändler zu überführen, aber es war immerhin ein Anfang.
19
CHERUB s Trainer hatten ihr Büro in einer klapprigen Gartenhütte vor dem Übungsgelände, auf dem die Grundausbildung stattfand. James klopfte an.
»Komm rein!«, rief Mr Pike.
Auf dem Boden lag ein abgetretener Teppich, klapprige Schreibtische standen herum, und der ganze Raum war mit schmutzigen Sportsachen und feuchten Handtüchern übersät. Der Geruch von kaltem Schweiß und Deospray hing in der Luft.
Mr Pike saß am Kopfende eines langen Tisches, flankiert von seinen Gehilfen Mr Speaks und Mr Greaves. James stellte überrascht fest, dass Mr Greaves die Beine seiner Camouflagehose hochgerollt hatte und seine Füße in einer Schüssel Wasser steckten.
»Nimm dir einen Stuhl, James«, forderte ihn Mr Pike auf und wies auf eine Thermoskanne auf dem Tisch. »Kaffee?«
James nickte und setzte sich. Er kam sich in der Gegenwart der drei kräftigen Trainer außerhalb ihres gewohnten Wirkungsfeldes sehr komisch vor. Normalerweise hatte man mit diesen Männern nur näheren Kontakt, wenn man eingeschüchtert oder erschöpft war, doch hier saßen sie nun am Ende eines Trainingstages und sahen aus wie drei Kerle mittleren Alters, die gerne nach Hause gehen und vor der Glotze einschlafen wollten.
James nippte an seinem Kaffee und bemerkte die vertraulichen Akten von acht Rothemden und drei neuen Rekruten auf dem Tisch.
»In einem Monat fängt eine neue Grundausbildung an«, erklärte Mr Pike. »Das hier ist unser erstes Treffen dazu. Wir sprechen über die Stärken und Schwächen der einzelnen Kandidaten, versuchen, ausgewogene Partnerschaften zu bilden, und legen die genauen Übungen fest, auf die wir sie schicken werden, ohne dass wir das Reisebudget sprengen.«
James war überrascht. »Ich dachte immer, Sie teilen die Kinder beliebig ein.«
»Ganz im Gegenteil«, erklärte Mr Pike. » Cherub hat permanent Agentenmangel, und die höheren Mächte setzen uns gewaltig unter Druck, ja jeden durch die Grundausbildung zu bringen.«
»Ohne dabei das Niveau abzusenken«, fügte Mr Speaks hinzu, der seine Zehenzwischenräume mit einem schmutzigen Frotteehandtuch bearbeitete.
»Ich möchte, dass du dir diesen jungen Kerl mal ansiehst«, verlangte Mr Pike und schob James eine der Akten zu. »Du bist doch zurzeit ziemlich gut im Höhentest-Parcour, oder?«
James nickte. »Ich bin da schon so oft drüber, dass ich gar nicht mehr darüber nachdenke.«
»Der kleine Kerl in
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