Top Secret - Der Verdacht
Fortschritte gesehen«, sagte James, holte einen Schlüssel von Mr Pike aus seiner Jackentasche und steckte ihn in eine graue Box an einem Pfosten über Kevins Kopf. »Jetzt wollen wir doch mal schauen, wie du damit fertig wirst.«
Als James den Schlüssel umdrehte, gingen Flutlichter an und beleuchteten das hölzerne Gerippe von Cherub s furchterregendem Höhenparcours. Die Abfolge von Türmen, Planken, Pfosten und Schwingseilen zwischen hohen Bäumen stellte für jeden eine Herausforderung dar. Für jemanden mit Höhenangst war sie ein Albtraum.
James grinste den Zehnjährigen an. »Du siehst ein wenig blass um die Nase aus, Kev.«
Er fühlte sich mies, als Kevin ein Schluchzen unterdrückte. James’ erste Gefühlsregung war, den Jungen in den Arm zu nehmen und ihm zu sagen, dass alles in Ordnung sei. Aber sie hatten mit ihrer groben Masche bereits einen Durchbruch erzielt; sie konnten die Maske jetzt nicht fallen lassen.
»Heulsuse«, höhnte Bruce und kniff Kevin in die Wange. »Wie willst du es je zum Cherub bringen, wenn du immer schon losheulst, bevor du es überhaupt versucht hast?«
James sah mit Freude, dass Kevin seine Tränen hinunterschluckte, die Zähne zusammenbiss und denselben trotzigen Gesichtsausdruck aufsetzte wie nach dem Sprung vom Dach letzte Nacht.
Der Parcours begann mit ein paar Strickleitern, die hinauf zu einer Holzplattform führten, die etwa zwanzig Meter über dem Boden zwischen zwei hohen Bäumen hing.
»Nicht nach unten sehen!«, befahl James, als Kevin nervös den Fuß auf die unterste Sprosse setzte.
James dachte daran, wie verängstigt er gewesen war, als er das erste Mal über diesen Parcours laufen musste. Bruce kletterte behände auf einer anderen Leiter voraus, James folgte ein paar Sprossen hinter Kevin. Kevin war ein wenig langsam und hielt inne, wenn der Wind die Leiter schwanken ließ, aber James’ Meinung nach machte er es für einen Anfänger gar nicht schlecht.
In gewisser Weise war es leichter, den Parcours im Dunkeln zu überwinden, weil man sich seiner Umgebung weniger bewusst war.
»Wo ist das Geländer?«, fragte Kevin, als er auf der Plattform angekommen war.
»Es gibt keins«, erklärte Bruce mit so viel Inbrunst in der Stimme, dass sich James fragte, ob er tatsächlich Spaß daran hatte, Kevin leiden zu lassen.
James erinnerte sich an sein eigenes erstes Mal auf der zwanzig Meter hohen, kaum zwei Fuß breiten Plattform. »Wenn dieses Ding hier am Boden liegen würde, würdest du auch den ganzen Tag lang darauf herumlaufen, ohne über die Kante zu kippen«, erklärte er und legte Kevin beruhigend die Hand auf die Schulter.
Der nächste Abschnitt des Parcours bestand aus zwei Gerüststangen, die zu einer zweiten, zehn Meter entfernten quadratischen Plattform mit Holzgeländer an zwei Seiten führten.
»Du legst eine Hand um jede Stange, hinten hackst du die Stiefel darum, dann krabbelst du los«, erklärte Bruce.
»Sind da Netze drunter?«, erkundigte sich Kevin.
»Das wirst du sehen, wenn du runterfällst«, schnauzte James ihn an. »Und jetzt beweg deinen mickrigen Hintern!«
Bruce krabbelte voraus. Die Metallstangen fühlten sich eiskalt an in James’ Händen. Kevin bewegte sich die ersten zwei Drittel der Strecke schnell voran, doch dann rutschte sein rechter Fuß ab. Er schaffte es zwar, sich festzuhalten und den Fuß wieder um die Stange zu schlingen, aber der Ausrutscher hatte ihm Angst gemacht, und er erstarrte und begann wieder, zu schniefen.
»Herrgott!«, rief Bruce. »Da wissen wir ja schon, wer dieses Jahr im Krippenspiel den Engel gibt!«
James machte sich Sorgen, weil Kevin sich keinen Millimeter mehr rührte. Falls er fiel, würde er von einem Netz kurz über dem Boden aufgefangen werden, aber es würde sein Selbstvertrauen schwächen, außerdem würde er sich beim Sturz durch die Bäume an den Zweigen verletzen. Und es war ja nicht nur so, dass der Kleine James leidtat und er wollte, dass er es schaffte: Seine Geschichtskursarbeit stand ebenfalls auf dem Spiel.
»Beweg dich«, verlangte James, nahm die Hand von der Stange und stupste Kevin sanft in den Hintern.
Kevin rutschte weiter, aber er heulte sich die Augen aus. Bruce schnappte ihn sich, sobald er in Reichweite der zweiten Plattform war, und knallte ihn gegen das Holzgeländer.
»Wenn ich noch ein einziges Schluchzen höre, dann gebe ich dir einen echten Grund zum Heulen«, drohte Bruce und drehte Kevin die Nasenspitze im Gesicht herum.
»Ich kann nicht mehr!«,
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