TOP SECRET - Die Sekte
Sektenmitglieder aus dem Abendgottesdienst und zu ihren Freizeitaktivitäten zu eilen hatten, war vorbei, und es war nun geradezu gespenstisch ruhig.
Die einzigen anderen Leute auf dem Pfad kamen ihnen entgegen: zwei Männer und die unverkennbare dürre Gestalt der Spinne. Sie waren offenbar sehr in Eile. James erwartete, dass man sie ausfragen würde, aber stattdessen mussten sie beiseitetreten, um die drei vorbeirauschen zu lassen.
»Was soll denn das jetzt bedeuten?«, fragte James mit einem Blick zurück.
»Die Spinne hat überall Augen«, erklärte Rat. »Sie hat bestimmt gehört, dass Susie mit einem Haufen Gepäck in diesem Flugzeug verschwunden ist.«
»Erinnerst du dich noch an das Gespräch auf dem Gang?«, fügte Lauren hinzu. »Sie hat sich über den Zugriff auf ein Konto aufgeregt, und Susie hat gemeint: Geh und frag deinen Vater. Ich wette, das genau hat sie jetzt vor.«
»Und dann wird sie feststellen, dass Joel tot ist«, schloss Rat.
» Mist «, sagte James. »Wie lange braucht sie, um hier alles dichtzumachen?«
»So lange, wie es dauert, zwei Telefongespräche zu führen, um die Wachen in den Türmen zu alarmieren.«
James verspürte einen Adrenalinstoß, als er feststellte, dass das Zeitfenster für ihre Flucht soeben von einer Stunde auf fünfzehn Minuten geschrumpft war.
Er tauschte einen Blick mit seiner Schwester, und sie fragten gleichzeitig: »Rennen?«
»Rennen«, bestätigte Rat.
»Wir brauchen die Schlüssel für den Lieferwagen«, rief James, als sie lossprinteten. »Ich weiß, dass Ernie sie irgendwo im Büro aufbewahrt.«
Rat nickte. »In Schnüffelschweins Schreibzimmer ist ein Schlüsselschrank.«
»Im Zimmer von wem?«
»Das ist mein Spitzname für die blöde Kuh, die das Büro leitet.«
»Rat hasst sie«, keuchte Lauren im Laufen. »Immer wenn sie ihn dabei erwischt, wie er Blödsinn macht, lässt sie ihn im Keller Akten sortieren.«
Nach zwei Minuten hatten sie die Tür zum Bürogebäude erreicht, nur um festzustellen, dass sie bereits verschlossen war.
»Das hätten wir uns auch denken können«, rief James und trat gegen das Metall.
»Postschacht«, sagte Rat.
Die drei rannten um das Gebäude unter das Vordach des verlassenen Fuhrparks. James kletterte als Erster durch die Gummifransen und in den Schacht. Zehn Meter glattes Metall führten vor ihm nach oben.
Er drückte sich mit den Händen an den gewölbten Seitenflächen ab und rannte los. Nach ein paar Schritten verloren seine Füße den Halt, und er rutschte wieder hinunter, wobei er Lauren mit dem Turnschuh am Mund traf, als er gegen sie prallte.
»Pass doch auf!«, beschwerte sich Lauren zornig, die Blut und Dreck schmeckte und sich den Mund hielt.
»War ja keine Absicht!«, gab James zurück. Während sich die Geschwister gegenseitig anknurrten, versuchte es Rat mit einer anderen Technik: Er zog sich an den Bolzen hoch, mit denen die einzelnen Segmente des Schachts verschraubt waren.
»Warte hier«, befahl James seiner Schwester und folgte Rat hinauf, wobei ihm die rostigen Bolzen in die Finger schnitten.
»Bringt mir ein paar Taschentücher mit!«, rief Lauren und wischte sich das blutige Kinn am Hemd ab.
Als Rat oben angekommen war, schwang er seine Füße nach vorne und trat die Klappe mit einem Doppelkick auf, der James in den Ohren dröhnte.
»Mach doch noch mehr Krach, ja?«, knurrte James, als er in den dunklen Postraum kletterte und eine Mundvoll staubigen Speichel auf den Teppich spuckte.
Rat öffnete die Tür und schoss in das düstere Büro, zwischen den Tischen hindurch und in einem Fünfzig-Meter-Sprint
zum Zimmer der Büroleiterin. James war knapp hinter ihm. Die Tür war offen, aber der Schlüsselschrank hinter dem Schreibtisch war verschlossen.
»Zurück!« James schnappte sich einen Feuerlöscher und nahm Anlauf.
Der Feuerlöscher krachte gegen das Plastik. Der Schrank fiel von der Wand, und beim Aufprall am Boden hüpften die Schlüssel von den Haken, doch das Schrankschloss war noch heil, und die Abdeckung hatte nur einen kleinen Riss.
»Verdammt!«, fluchte Rat und trat mit dem Absatz auf das Plastik, um die Tür einzutreten.
James half ihm, und nach jeweils fünf Tritten gaben die Angeln des Schränkchens nach und Rat riss das Plastik ab.
»Ich brauche Licht«, sagte James.
Als die Neonröhren über seinem Kopf mit leisem Klacken angingen, bückte sich James und kramte in den losen Schlüsseln auf der Suche nach dem Schlüsselbund mit dem kleinen ovalen
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