Topchter der Köingin Tess 1
kontrollierte. Aber ich war im Palast aufgewachsen. Ich wusste, dass König und Königin regierten. Oder etwa nicht?
Ein unwirkliches Gefühl überkam mich, als ich mich daran erinnerte, wie oft Kavenlow und ich in unseren Spielen von dringlichen privaten Besprechungen mit bedeutenden Männern gestört worden waren; die Briefe ohne königliches Siegel, die durch Kavenlows Hände gingen; seine Ausflüge zum Hafen zu jeder Tages-und Nachtzeit. Plötzlich erschien mir Jecks Anspielung, Kavenlow ziehe insgeheim die Fäden, nicht nur plausibel, sondern geradezu offenkundig.
Ich hob den Kopf und blickte zu Jeck, der am Rand des Lagers das Eichhörnchen ausweidete. »Ihr habt mich als – als Spielerin bezeichnet«, sagte ich, denn ich wollte versuchen, ihm mehr Informationen zu entlocken. Das eigentlich so vertraute Wort kam mir seltsam vor, als ich es ihm gegenüber aussprach, und Jecks zunächst erschrockene Miene wich einem strengen, verschlossenen Ausdruck.
»Nicht«, sagte er beängstigend barsch. »Frag mich nicht danach.«
Ich beugte mich vor und wähnte mich schon beinahe am Ziel. Ich erinnerte mich daran, wie Jeck ausgepeitscht worden war, an die Frustration in seinen Augen – und die Beherrschung. »Ihr seid nicht nur der Hauptmann von König Edmunds Garde«, sagte ich und glaubte mich der Wahrheit näher als je zuvor in meinem Leben. »Ihr seid selbst ein Spieler.«
»Nein«, erwiderte er und hob eine Hand, deren Finger rot von Eichhörnchenblut waren. Er sah es und ließ die Hand sinken. »Das war ein Scherz. Ein schlechter Scherz. Ich bin der Hauptmann von König Edmunds Garde, und es ist meine Aufgabe, seinen Zweitältesten Sohn am Leben zu erhalten, bis er sicher verheiratet ist. Das ist alles.« Doch seine braunen Augen blickten allzu entschlossen drein.
»Nein, Ihr seid viel mehr. Ihr seid ein Spieler«, bohrte ich nach.
»Prinzessin …« Seine Schultern hoben und senkten sich, während er tief Luft holte und sie langsam wieder ausströmen ließ. Er kehrte ans Feuer zurück, zog meinen nassen Lappen vom Topf und wischte sich die Hände daran ab. Er wirkte besorgt, als er schließlich vor mir stehen blieb. »Verdammt noch mal, Jeck«, fluchte er. »Hat dein vorlautes Mundwerk dich nun doch eingeholt … Hör zu«, sagte er und ging vor mir in die Hocke. »Tu uns beiden einen großen Gefallen und behalte deine Gedanken für dich. Kavenlow wird ohnehin schon furchtbar zornig auf mich sein, weil ich zugelassen habe, dass Garrett unangekündigt Anspruch auf Costenopolis erhebt. Aber dass ich obendrein seine Zeitplanung für dich über den Haufen werfe?« Seine Mundwinkel legten sich in Fältchen, und er nahm den Hut ab und zerstrubbelte sein Haar – so sah er gleich jünger aus. »Lieber baumle ich als Verräter an König Edmunds Strick, als mich in deine …
Ausbildung einzumischen. Dass das keine Absicht, sondern tatsächlich ein Irrtum meinerseits war, spielt keine Rolle. Ich werde retten, was noch zu retten ist, und aussteigen.« Sichtlich bedrückt legte er seinen Hut auf seine Decken und zog den Topf voll blutigem, schmutzig braunem Wasser aus meiner Reichweite.
Mein Puls raste. Was er mir gesagt hatte, bereitete ihm mehr Sorgen als Garretts Mord an König und Königin? Ich erfuhr immer mehr Einzelteilchen, jedes noch verwirrender als das davor. »Ihr fürchtet Euch vor ihm«, sagte ich. »Ihr habt Angst vor Kavenlow?«
Jeck blickte von dem Eichhörnchen auf, und seine breiten Schultern spannten sich kaum merklich. »Nein. Keineswegs.«
»Ich denke doch, Hauptmann.«
Er drehte sich um. »Nein, Prinzessin, ganz gewiss nicht.« Er hängte das Eichhörnchen mit dem Kopf nach unten über den Topf und ließ es ausbluten. »Aber das alles ist nicht allein meine Schuld. Weshalb er dich so lange im Dunkeln gelassen hat, ist mir ein Rätsel. Du hast bereits eine beachtliche Immunität gegen Gifte erworben. Er hätte dich schon vor Jahren anerkennen lassen sollen.«
»Anerkennen«, flüsterte ich. Ein Bild von einem Fuchs, der Wasser vom Boden leckte, trieb plötzlich durch meinen Kopf. Ich roch qualmenden Wermut. Mein Herz begann zu pochen, als die Erinnerungen auf mich einströmten.
Kavenlow war zornig gewesen, doch er hatte den Zigeunerwagen nicht niedergebrannt. Er hatte mich in mein Schlafgemach getragen, mich auf die Stirn geküsst und gesagt, er müsse jetzt gehen und mit meinen Eltern sprechen. Warum fiel mir das erst jetzt wieder ein?
Plötzlich verängstigt, fing ich seinen Blick auf.
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