Tor der Daemmerung
Wasser zu ziehen versuchte. Wäre ich noch ein Mensch gewesen, noch dazu einer, der nie besonders gut schwimmen konnte, wie ich hinzufügen sollte, dann hätte mich das ziemlich beunruhigt.
Eigentlich war der Fluss nicht besonders tief, das Wasser ging mir gerade mal bis zur Brust, aber bei jedem Schritt musste ich gegen den Sog ankämpfen. Darren rief mir von hinten zu, ich solle einfach immer weitergehen, doch über das laute Rauschen hinweg konnte ich ihn kaum verstehen. Ich sah mich um. Die schüchterne kleine Bethany klammerte sich mit beiden Armen an seinem Hals fest und hielt ängstlich die Augen geschlossen.
Gerade als ich mich zu den beiden umdrehte, bemerkte ich einen großen Schatten, der durch das Wasser auf uns zutrieb: Auf den Wellen schaukelte ein toter Baumstamm. Ich wollte Darren eine Warnung zurufen, aber es war bereits zu spät. Der Stamm war zu schnell und erwischte ihn mit voller Wucht, sein Griff löste sich und er verschwand in den Fluten. Bethany schrie auf, dann geriet auch ihr Kopf unter Wasser.
Ich dachte nicht nach. Ich handelte einfach. Im nächsten Moment hatte ich das Seil losgelassen und stürzte mich in die Wellen. Die Strömung schleuderte mich herum wie eine leblose Puppe. Sie machte jeden Versuch, an die Oberfläche zu kommen, zunichte, und drückte mich stattdessen immer tiefer Richtung Grund, sodass ich kaum noch wusste, wo unten und oben war. Kurz geriet ich in Panik – bis mir klar wurde, dass der Fluss mir nichts anhaben konnte. Ich musste nicht atmen, also bestand auch keinerlei Gefahr zu ertrinken.
Sobald ich den Kampf gegen die Strömung aufgab, wurde alles einfacher. Der Fluss trug mich, und ich suchte in seinen Fluten hastig nach einer Spur von Bethany und Darren. Für einen Sekundenbruchteil sah ich den Zipfel eines blauen Kleides und hechtete darauf zu.
Trotzdem dauerte es quälend lange Minuten, bis ich das schlaff im Wasser treibende Mädchen packen und an mich ziehen konnte. Krampfhaft versuchte ich, ihr bleiches kleines Gesicht über den Wellen zu halten. Mit aller Kraft stemmte ich die Füße in den Boden und watete trotz der Strömung, die an meinen Beinen zerrte, aufrecht in Richtung Ufer.
Erschöpft kletterte ich an Land, legte Bethany auf den Rücken und sank neben ihr auf die Knie. Angespannt suchte ich in ihrem Gesicht nach einem Lebenszeichen. Alles sah danach aus, als wäre das Mädchen ertrunken: Ihre Augen waren geschlossen, die Lippen leicht geöffnet und die blonden Haare klebten an ihrem Schädel. Sie schien nicht mehr zu atmen. Als ich ein Ohr an ihre Brust drückte und nach einem Herzschlag suchte, war ich fast sicher, nur Stille zu hören.
Doch da war er. Schwach, aber hörbar. Sie lebte.
Ich setzte mich auf, kaute auf meiner Unterlippe herum und starrte auf das reglose Mädchen. Mir ging eine vage Vorstellung durch den Kopf, was nun zu tun war. Im Saum hatte ich einmal beobachtet, wie ein kleiner Junge aus einem überfluteten Abwasserkanal gezogen worden war. Sein Retter hatte versucht, ihn wiederzubeleben, indem er in seinen Mund geatmet und auf seiner Brust herumgedrückt hatte, während die Gaffer um ihn herum fasziniert zusahen. Traurigerweise scheiterte der Versuch, den Jungen ins Leben zurückzuholen, und die Mutter konnte nur eine Leiche mit nach Hause nehmen. Ich konnte nicht anders, als mir dasselbe Schicksal für Bethany auszumalen.
Tja, wenn du jetzt nichts unternimmst, ganz bestimmt, Allison.
»Verdammt.« Vorsichtig zog ich den Unterkiefer der Kleinen runter und hielt ihr die Nase zu. »Ich habe keine Ahnung, was ich hier eigentlich mache«, warnte ich sie, dann senkte ich meinen Mund auf ihren. Dabei musste ich mich selbst daran erinnern, erst Luft in meine eigenen Lungen zu pumpen, bevor ich sie in den Mund des Mädchens hauchte.
Fünf oder sechs Mal beatmete ich sie und spürte, wie sich bei jedem Atemzug ihr Bauch ausdehnte und wieder zusammenfiel. Aber Bethany reagierte nicht, ihr Körper blieb völlig schlaff. Vielleicht musste ich auf ihre Brust drücken, wie es der Mann damals bei dem Jungen getan hatte? Ich entschied mich dagegen. Es fiel mir noch immer schwer, meine körperliche Kraft richtig einzuschätzen, und ich wollte ihr schließlich nicht aus Versehen eine Rippe brechen. Allein beim Gedanken daran wurde mir schlecht.
Beim siebten Beatmungsversuch war ich kurz davor, aufzugeben, als Bethany plötzlich anfing zu würgen, dann hustete sie und aus Mund und Nase lief jede Menge Flusswasser. Erleichtert zog ich
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