Tor der Daemmerung
Ich hörte den Herzschlag in seiner Brust, sein Puls war auf hundertachtzig.
»Oh, mein Gott.« Taumelnd kam nun auch Darren angerannt. Alles war so rasend schnell gegangen, dass ihm keine Zeit geblieben war, um zu schießen. Er hatte nicht mal einen Pfeil aufgelegt. »Geht es euch gut? Es tut mir leid, ich konnte nicht … es kam wie aus dem Nichts.«
Zeke winkte ab, stemmte sich hoch und griff leicht zittrig nach einem herabhängenden Ast. »Ist schon gut«, brachte er keuchend hervor, während er seine Pistole wegsteckte. »Alles erledigt. Es ist vorbei und niemandem ist etwas passiert. Allie?« Er sah mich fragend an. »Du bist doch okay, oder? Es hat dich nicht erwischt?«
Ich schüttelte den Kopf. »Mir geht’s gut.«
»Mehr als das.« In Darrens Stimme schwang Bewunderung mit, aber auch Neid. »Verdammt, Mädchen, du hast ihm den Kopf abgeschlagen! Hiermit trete ich von der Wette zurück – du kannst jederzeit mit uns auf die Jagd gehen.«
Ich grinste ihn triumphierend an, doch dann fiel mir auf, dass Zeke mich nachdenklich musterte. »Du warst unglaublich«, sagte er leise, riss sich dann aber sofort wieder zusammen. »Ich meine … dieses Schwert muss ja verdammt scharf sein, wenn man damit ein ausgewachsenes Wildschwein zerteilen kann. Und du bist nicht einmal aus der Puste gekommen.«
In mir schrillten die Alarmglocken. Demonstrativ holte ich Luft und ließ es möglichst atemlos aussehen. »Es ist nur noch nicht richtig eingesunken«, erklärte ich mit schwacher, unsicherer Stimme. Zeke machte besorgt einen Schritt auf mich zu, aber plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit abgelenkt. Bei meinem Atemzug hatte ich den fauligen, verwesenden Kadaver des Wildschweins gerochen, ein Gestank von dem mir fast schlecht wurde, aber da war auch ein Hauch von Blut gewesen. Reines, unverseuchtes Blut. Menschliches Blut.
»Hallo?« Zwischen den Bäumen ertönte eine leise Stimme, die ich noch nie gehört hatte. »Ist da … ist da jemand? Lebt ihr noch?«
Ruckartig richteten wir uns auf und zielten alle drei mit unseren Waffen blind in die Dunkelheit. »Wo sind Sie?«, wollte Zeke wissen und wich langsam zurück, bis er unmittelbar neben Darren und mir stand. »Zeigen Sie sich!«
»Ich kann nicht«, antwortete der Fremde. »Das Wildschwein … mein Bein. Ich brauche Hilfe, bitte.«
Angestrengt starrte ich in den Wald hinein, lauschte auf die Stimme und versuchte herauszufinden, woher sie kam. »Dort drüben.« Ich stupste Zeke kurz an und zeigte dann auf eine alte Kiefer. Zwischen den Ästen hockte eine dunkle Gestalt und klammerte sich verzweifelt an den Stamm. Sie roch nach Angst und Schmerz. Und Blut. Jeder Menge Blut.
Vorsichtig näherten wir uns dem Baum, die Waffen immer griffbereit. Mit jedem Schritt ließen sich mehr Einzelheiten ausmachen: ein Mann in mittleren Jahren mit kurzem, blondem Bart und einem schmutzigen blauen Overall. Er beobachtete uns mit glasigen Augen, sein Gesicht war schmerzverzerrt.
»Das Schwein?«, flüsterte er.
»Ist tot«, versicherte ihm Zeke. »Sie können jetzt runterkommen. Wir werden Ihnen nichts tun.«
»Gott sei Dank.« Erleichtert sackte der Mann in sich zusammen, fiel dabei fast vom Baum und landete stöhnend vor unseren Füßen. Plötzlich war der Blutgeruch überwältigend stark. Ich biss mir krampfhaft auf die Lippe, um meine Reißzähne in Schach zu halten.
»Das verdammte Schwein hat mich ganz schön erwischt.« Ächzend ließ sich der Mann gegen den Stamm sinken und streckte mit einer gequälten Grimasse sein Bein aus. Das rechte Hosenbein war bis zum Knie hinauf völlig zerfetzt und blutverschmiert. »Ich habe es gerade noch auf den Baum geschafft, aber es hat mich trotzdem erwischt. Dann hat das sture Vieh darauf gewartet, dass ich wieder runterkomme. Wenn ihr nicht gekommen wärt, wäre ich jetzt tot.«
»Gibt es hier denn einen sicheren Ort, an den Sie gehen können?«, fragte Zeke und kniete sich neben den Verletzten. Der nickte.
»Ungefähr zwei Kilometer westlich von hier leben wir in einer kleinen Gemeinschaft, in einer Art Festung.« Mit der blutverkrusteten Hand zeigte er in die entsprechende Richtung, woraufhin Zeke sofort wieder aufstand.
»Alles klar«, entschied er. »Darren, du gehst zurück zu den anderen. Sag Jeb, was passiert ist. Außerdem musst du sie davor warnen, dass es hier wahrscheinlich Verseuchte gibt. Allison«, er deutete mit dem Kopf auf den Verletzten, »du hilfst mir dabei, ihn nach Hause zu bringen.«
Missbilligend runzelte
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