Tor der Daemmerung
Jungchen. Stell dich nicht so an. Ihr habt einem von meinen Leuten geholfen, und jetzt tue ich dasselbe für euch. Wir kriegen hier wirklich nicht oft andere Menschen zu Gesicht. Wo befindet sich der Rest eurer Gruppe?«
Zeke wirkte nicht glücklich, offenbar wollte er nicht preisgeben, wo die anderen waren, oder vielleicht widerstrebte es ihm auch nur, von einer Fremden Hilfe anzunehmen. Ich hingegen musterte den Himmel über den Baumkronen, der sich langsam aufhellte, und wurde nervös. Die Sterne waren kaum noch zu sehen. Nicht mehr lange, dann würde die Sonne aufgehen.
»Ungefähr zwei Kilometer südöstlich von hier«, sagte ich deshalb, was mir einen finsteren Blick von Zeke einbrachte. Ich ignorierte ihn und wandte mich wieder an Patricia, die aufrichtig besorgt wirkte. »Es sind circa ein Dutzend Leute, die Hälfte davon Kinder. Und es könnte schwierig werden, den Prediger zu überzeugen. Er kann verdammt stur sein.«
»Ein Pastor?« Patricias Augen strahlten plötzlich. »Oh, das ist ja wundervoll. Er könnte für Joe beten. Und du sagtest, es wären Kinder unter ihnen? Gott steh uns bei! Also, worauf wartet ihr noch?« Sie bedachte die beiden Männer mit einem strengen Blick, woraufhin diese eine hastige Entschuldigung murmelten und in die Festung zurückliefen.
»So.« Patricia lächelte uns an und sah dabei so aus, als hätte sie das schon sehr lange nicht mehr getan. »Ihr beiden seid sicher völlig erschöpft. Ich zeige euch jetzt, wo ihr schlafen könnt. Wenn ihr noch ein oder zwei Stunden durchhaltet, kriegt ihr sogar noch ein Frühstück.« Plötzlich schien ihr etwas einzufallen. »Oje, ich sollte besser Martha mit dem Essen zur Hand gehen, oder? Immerhin werden wir eine Menge Gäste haben. Hier entlang, bitte.«
»Warum hast du das getan?«, flüsterte Zeke, während wir der großen, knochigen Frau in das Innere der Festung folgten. »Diese Leute brauchen nicht noch mehr Mäuler, die gestopft werden wollen. Wahrscheinlich kommen sie auch so schon kaum über die Runden.«
»Ich bin müde, Zeke.« Vorsichtshalber sah ich ihn nicht an, als ich das sagte. »Es ist schon fast Morgen. Außerdem habe ich Hunger, an mir klebt das Blut eines Fremden und ich habe keine Lust, erneut durch den Wald zu laufen, wenn sich die Gelegenheit bietet, einmal in einem anständigen Bett zu schlafen und nicht auf der kalten, harten Erde.« Okay, der letzte Punkt war gelogen, aber das musste er ja nicht erfahren. »Entspann dich – ich glaube nicht, dass sie Kannibalen sind oder heimlich Vampire anbeten, es sei denn, du hältst diese alte Dame für den Teufel in Menschengestalt.«
Er sah mich irritiert an, dann fuhr er sich seufzend mit den Fingern durchs Haar. »Jeb wird das gar nicht gefallen«, murmelte er kopfschüttelnd.
»Warum überrascht mich das nicht?«
15
Am nächsten Abend wachte ich auf und … fühlte mich anders. Es war nicht unangenehm oder beunruhigend, aber irgendetwas hatte sich definitiv verändert. Schlagartig wurde mir klar, was es war: Ich war sauber.
Entspannt schlug ich die Decke zurück, setzte mich auf und streckte mich, während ich an den vergangenen Morgen dachte. Das ausgedehnte Bad in dem heißen, sauberen Wasser, dessen Dampf wie Nebel aufstieg und die Fenster beschlagen ließ – eine solche Glückseligkeit hatte ich schon lange nicht mehr erlebt. Nass geregnet zu werden oder in einen schlammigen Fluss zu fallen war etwas ganz anderes. Und es hatte echte Seife gegeben, etwas, das im Saum nicht mehr als ein Mythos gewesen war. Die Archers stellten aus Lauge, Sand und Ziegenmilch ihre eigene Seife her, und den seltsamen, gelblichen Klumpen hatte ich dazu benutzt, die dicken Schichten aus Schmutz und Blut abzuschrubben, bis ich endlich wieder das helle Weiß meiner Haut sehen konnte. Bedauerlicherweise hatte die nahende Dämmerung meine Badezeit abgekürzt, aber trotzdem hatte ich es gewagt, so lange in der Wanne zu bleiben, bis mich die aufgehende Sonne endgültig zwang, das Bad zu verlassen und in das geborgte Nachthemd zu schlüpfen, das ich auf meinem Bett vorfand.
Nach dem Aufstehen sah ich mir das kleine Zimmer genauer an. Wahrscheinlich war es früher einmal ein Kinderzimmer gewesen, zumindest deuteten die Steppdecke mit der fröhlichen Sonne und die ausgebleichte Wolkentapete darauf hin. Ich dachte einen Augenblick darüber nach, was wohl aus dem Kind geworden war, in dessen Zimmer ich nun wohnte, verdrängte den Gedanken aber schnell wieder.
Auf dem Flur quietschte
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