Tor der Daemmerung
der Kampf viel länger zu dauern schien, war bereits nach wenigen Sekunden alles vorbei. Jake und Silas schnappten sich die Kontrahenten und trennten sie voneinander. Die beiden Kampfhähne wischten sich keuchend die Münder ab und maßen sich weiterhin mit wütenden Blicken. Darrens Nase blutete und Zekes Oberlippe war aufgeplatzt, sodass das rote Nass auf die Straße tropfte. Sie wehrten sich nicht gegen ihre Schlichter, wären aber wohl sofort wieder aufeinander losgegangen, wenn man sie gelassen hätte.
»Was hat das zu bedeuten?«
Eines musste man Jeb lassen: Er hatte nicht einmal die Stimme erhoben, und trotzdem war die Spannung zwischen den beiden Jungen wie weggeblasen. Jeb gab den Männern ein Zeichen, die Kämpfer loszulassen, und baute sich dann grimmig vor den beiden auf. Aus nächster Nähe musterte ich ihre Gesichter. Darren war blass und wirkte ängstlich, doch in Zekes Miene war nur Scham zu erkennen.
»Wie enttäuschend, Ezekiel.« Jebs Stimme war vollkommen ausdruckslos, und trotzdem fuhr Zeke zusammen, als wäre das sein Todesurteil.
»Es tut mir leid, Sir.«
»Bei mir musst du dich nicht entschuldigen.« Nachdem er beide mit einem eisigen Blick bedacht hatte, trat Jeb zurück. »Den Grund für euren Kampf kenne ich nicht, und er interessiert mich auch nicht. Doch in dieser Gemeinschaft erheben wir nicht die Hand gegen unsere Mitmenschen – was ihr beide sehr wohl wisst.«
»Jawohl, Sir«, murmelten Zeke und Darren.
»Da ihr offenbar genug Energie habt, um euch zu prügeln, werde ich eure heutigen Rationen an jemanden verteilen, der sie dringender braucht als ihr.«
»Jawohl, Sir.«
»Jake!« Jeb winkte den Mann heran. »Du übernimmst zusammen mit Darren die Nachhut. Zeke …«, er drehte sich zu seinem Zögling um, der kaum merklich zusammenzuckte, »… du kommst zu mir nach vorne.«
Zeke und Darren wechselten einen kurzen Blick, dann wandte Zeke sich ab und folgte Jebbadiah an die Spitze der Gruppe. Doch ich sah, wie sie sich damit wortlos beieinander entschuldigten, und plötzlich wurde mir klar, dass Darrens Besorgnis nicht ihm selbst gegolten hatte, sondern Zeke.
Den Grund dafür erfuhr ich einige Stunden später, als wir die kleine Stadt erreichten, von der Larry gesprochen hatte. Hier herrschte dieselbe triste Atmosphäre der Verlassenheit wie in den meisten dieser unbewohnten Gemeinden: brüchige Straßen, rostige Autowracks, eingestürzte, überwucherte Gebäude. Auf einem Parkplatz flüchteten einige Rehe vor den Eindringlingen, indem sie über die Fahrzeuge und rostigen kleinen Wagen hinwegsprangen. Darren blickte ihnen mit einem hungrigen, sehnsüchtigen Blick hinterher, doch Zeke, der steif neben Jebbadiah herlief, hob nicht einmal den Kopf.
An Hauswände gedrückt und hinter Autowracks versteckt folgte ich ihnen, bis sie vor einem kleinen Gebäude an einer Straßenecke stehen blieben. Es musste früher mal weiß gewesen sein und hatte bunte Glasfenster und einen schwarzen Turm mit Spitzdach. Jetzt fiel bereits der Putz herunter und gab den Blick auf modrige Holzbalken frei. Die Mehrzahl der Fensterscheiben war eingeschlagen worden, überall lagen winzige bunte Scherben herum, die im Mondlicht glänzten. Auf dem Dach stand ein Holzkreuz, das so windschief aussah, als würde es jeden Moment herunterfallen.
Das musste eine Kirche sein, auch wenn ich bisher noch keine gesehen hatte, weil die Vampire alle Gotteshäuser, die sie finden konnten, dem Erdboden gleichgemacht hatten. Kein Wunder, dass die Gruppe sich von diesem Gebäude angezogen fühlte, wahrscheinlich vermittelte es ihnen ein Gefühl von Sicherheit. Jebbadiah drückte das halb verrottete Portal auf und führte seine Leute hinein. Ich sah mich meinerseits nach einem Platz um, an dem ich unterkriechen konnte.
Aus dem Unkraut, das das Gelände um die Kirche herum überwucherte, ragte die Statue eines Engels heraus, halb zerbrochen und verwittert. Neugierig sah ich mir die Sache aus der Nähe an und entdeckte im hohen Gras die Überreste verschiedener Grabsteine.
Dann war das also ein Friedhof. Ich hatte schon von diesen Orten gehört, an denen Familien früher ihre Toten bestatteten. In New Covington wurden die Leichen üblicherweise verbrannt, um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Dieser Friedhof war, genau wie die Kirche selbst, ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit.
Bis zur Morgendämmerung blieb noch eine Stunde. Gerade wollte ich mich in die kühle, weiche Erde eingraben, die unter dem
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