Tor der Daemmerung
ständiger Begleiter. Dummerweise macht genau das einen Vampir aus. Man kann sich nicht lange in der Gesellschaft von Menschen aufhalten, ohne sie irgendwann beißen zu wollen.«
»Und das erzählst du mir, weil …?«
»Weil du es wissen musst. Weil ich so bin, wie ich bin, und bevor wir weitermachen, solltest du wissen, was das bedeutet.«
Die Kälte kehrte in seine Stimme zurück. »Du willst damit also sagen, dass keiner von uns in deiner Nähe jemals sicher sein wird.«
»Ich kann nicht versprechen, dass ich niemals einen von euch beißen werde.« Hilflos zuckte ich mit den Schultern. »Durch den Hunger wird das menschliche Blut unweigerlich zu einer ständigen Versuchung. Ohne euer Blut können wir nicht überleben. Und vielleicht hattest du sogar recht, als du mich in jener Nacht fortgejagt hast. Ich kann dir lediglich eins versprechen: Ich werde immer dagegen ankämpfen. Mehr kann ich dir nicht bieten. Und wenn das nicht ausreicht … na ja.« Wieder zuckte ich mit den Achseln. »Darüber können wir uns den Kopf zerbrechen, nachdem wir die anderen gerettet haben.«
Zeke antwortete nicht. Er schien tief in Gedanken versunken zu sein, also ging ich schweigend hinaus, um draußen den blutigen Verband loszuwerden.
Im Hof vergrub ich schnell den Abfall, dann richtete ich mich auf und blickte die Straße hinunter. Am Ende dieses Weges erwartete uns Old Chicago mit einer ganzen Armee von Banditen und einem mysteriösen Vampirkönig, der über eine Vampirstadt herrschte. Welche Ironie: Nun würde ich letztlich an einem Ort landen, der genau dem entsprach, wovor ich die ganze Zeit weggelaufen war.
Im Osten hellte sich der Himmel bereits auf. Als ich ins Haus zurückkehrte, saß Zeke noch immer am Tisch. Neben ihm stand sein Rucksack und er bediente sich aus einer Tüte mit Salzgebäck, das ich in der Stadt aufgetrieben hatte. Zwar sah er hoch, als ich eintrat, doch er hörte nicht auf zu essen. Diesen Instinkt kannte ich noch aus meinen Tagen im Saum. Egal in welcher Situation, egal wie schlimm man sich fühlte oder wie unangebracht es wirken mochte, man musste essen, solange es ging. Schließlich wusste man nie, wann die nächste Mahlzeit kam oder ob diese nicht sowieso die letzte sein würde.
Außerdem registrierte ich, dass seine Pistole in Reichweite auf dem Tisch lag, beschloss aber, das zu ignorieren.
»Es dämmert langsam«, erklärte ich ihm, und er nickte. »Im Rucksack sind Wasser und Schmerztabletten, falls du welche brauchst. Das Desinfektionsmittel und Verbandszeug sind in der vorderen Tasche.«
»Wie steht es mit Munition?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich konnte in der Stadt keine finden, ich hatte ja nicht viel Zeit für die Suche.« Ich vermied jeden Blick auf die Pistole, die dicht neben seiner Hand lag. »Wie viele Kugeln hast du denn noch?«
»Zwei.«
»Dann sollten wir die nicht verschwenden.« Ich warf einen prüfenden Blick Richtung Fenster und zuckte zusammen. »Okay, ich muss jetzt gehen. Pass gut auf mit dem Bein, ja? Falls irgendetwas ist, werde ich dir erst nach Sonnenuntergang wieder helfen können. Wir sehen uns dann heute Abend.«
Er nickte ohne hochzusehen. Im Flur schob ich mich an Spinnweben und Schutt vorbei, bis ich am Ende des Korridors auf das Schlafzimmer stieß. Die Zimmertür war noch intakt, quietschte aber erbärmlich, als ich sie öffnete.
An der Wand unter dem kaputten Fenster stand ein großes Doppelbett und es gab sogar noch Vorhänge, die sanft im Wind wehten. Auf der von Motten zerfressenen Matratze lagen die Skelette von zwei Erwachsenen, umgeben von den modrigen Überresten ihrer Kleidung. Zwischen ihnen befand sich ein wesentlich kleineres Skelett, es ruhte in den Armen eines Erwachsenen, schützend an dessen Brust gedrückt.
Mit einem seltsamen Gefühl der Entrückung starrte ich auf die Knochen. Natürlich hatte ich Geschichten über die Epidemie gehört, meine Mutter hatte mir viel von dem Leben davor erzählt. Manchmal hatte die Krankheit so schnell und unvermittelt zugeschlagen, dass innerhalb weniger Tage ganze Haushalte erkrankt und verstorben waren. Diese Knochen, diese kleine Familie, stammte aus einer anderen Zeit, einer Ära vor der unseren. Wie war es wohl gewesen, dieses Leben vor der Epidemie, ohne Verseuchte, Vampire und öde, menschenleere Städte?
Entschlossen schob ich diese Gedanken beiseite. Es hatte keinen Sinn, sich über die Vergangenheit den Kopf zu zerbrechen, das würde mir ganz bestimmt nichts mehr bringen. Ich wandte mich
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