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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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fällige Menge mit Gewalt, obwohl sie bereits so schwach war, dass sie sich kaum noch bewegen konnte, geschweige denn essen.« Plötzlich sah ich wieder das winzige, kalte Schlafzimmer vor mir, das schneeweiße Gesicht meiner Mutter, ihre schmale Gestalt unter der dünnen Decke. »Davon hat sie sich nie erholt«, erklärte ich und drängte das Bild zurück in den hintersten Winkel meines Gehirns. »Danach hat es nicht mehr lange gedauert, bis sie … einfach nicht mehr konnte.«
    »Das tut mir leid«, murmelte Zeke. Es klang aufrichtig.
    »Von da an habe ich die Vampire gehasst.« Ich griff nach einem frischen Wattepad, tränkte es in Desinfektionsmittel und drückte es auf die Wunde. Angespannt biss Zeke die Zähne zusammen. »Ich habe mir geschworen, mich niemals registrieren zu lassen, mich nicht brandmarken zu lassen wie ein Stück Vieh, und dass sie von mir nicht einen Tropfen Blut bekommen würden. Irgendwann stieß ich auf andere wie mich, andere Unregistrierte, und wir haben uns irgendwie durchgeschlagen, haben gestohlen, geplündert, gebettelt, alles getan, um zu überleben. Oft wären wir fast verhungert, vor allem im Winter, aber das war immer noch besser, als den Vampiren als Melkkuh zu dienen.«
    »Was hat sich geändert?«, fragte Zeke leise.
    Mechanisch griff ich nach der Bandage, um sie wieder aufzuwickeln. Finstere, schreckliche Erinnerungen stiegen in mir auf: der Regen, das Blut, die Verseuchten, ich in Kanins Armen, das Gefühl, wie die Welt verblasste.
    »Ich wurde von Verseuchten angegriffen«, erklärte ich schließlich. »Sie haben meine Freunde getötet und mich ziemlich auseinandergenommen, draußen vor der Stadtmauer. Ich lag im Sterben. Da hat mich ein Vampir gefunden und mich vor die Wahl gestellt: ein schneller Tod oder eine von ihnen werden. Natürlich hasste ich die Vampire, und tief in meinem Inneren wusste ich, was das aus mir machen würde, aber ich wusste auch, dass ich nicht sterben wollte. Also habe ich meine Wahl getroffen.«
    Zeke schwieg eine Zeit lang. Irgendwann fragte er: »Bereust du es? Dass du ein Vampir geworden bist? Dass du dieses Leben gewählt hast?«
    Ich zuckte abwehrend mit den Schultern. »Manchmal.« Nachdem ich den Verband verknotet hatte, begegnete ich seinem Blick und rechnete mit stummen Vorwürfen. »Aber wenn ich wählen müsste zwischen dem Tod – also, richtigem Tod – oder dem Leben, würde ich mich wahrscheinlich wieder so entscheiden.« Zeke nickte nachdenklich. »Was ist mit dir?«, wollte ich wissen. »Wenn du im Sterben liegen würdest und jemand bietet dir einen Ausweg an, würdest du die Chance ergreifen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Angst vor dem Tod«, erklärte er. Es klang weder angeberisch noch selbstgerecht, sondern einfach nur überzeugt. »Ich weiß … ich glaube fest daran, dass nach diesem Leben etwas Besseres auf mich wartet. Also muss ich nur abwarten und mein Bestes tun, bis es Zeit wird zu gehen.«
    »Eine nette Vorstellung«, gab ich ehrlich zu. »Aber ich werde so lange leben, wie es irgend geht, was mit ein bisschen Glück ewig sein wird.« Ich sammelte die Sachen ein, stand auf und warf ihm einen prüfenden Blick zu. »Sag du mir doch, was passiert, wenn Vampire endgültig den Löffel abgeben? Laut Jeb haben wir keine Seele mehr. Was geschieht mit uns, wenn wir sterben?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Weißt du es nicht, oder willst du es mir nicht sagen?«
    »Ich weiß es nicht«, wiederholte Zeke nachdrücklich und seufzte frustriert. »Willst du von mir hören, was Jeb sagen würde, oder willst du meine Meinung wissen?«
    »Ich dachte, Jeb hätte dir sein gesamtes Wissen vermittelt.«
    »Das stimmt auch.« Zeke hielt meinem Blick stand. »Und er hat sich alle Mühe gegeben, aus mir den Anführer zu machen, den er sich vorgestellt hat.« Jetzt wirkte er trotzig, beschämt und unsicher zugleich. »Aber falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte: Wir sind nicht immer einer Meinung. Jeb sagt, ich sei stur und widerspenstig, aber bei gewissen Dingen habe ich nun mal meinen eigenen Kopf, ganz egal, was er glaubt.«
    »Ach?« Provozierend zog ich eine Augenbraue hoch. »Zum Beispiel?«
    »In Bezug auf dich hat er sich getäuscht. Ich … habe mich getäuscht.«
    Das kam unerwartet. Zeke stand abrupt auf. Seine verstörte Miene bewies, dass er das eigentlich gar nicht hatte sagen wollen. »Wir sollten aufbrechen«, sagte er, ohne mich anzusehen. »Jetzt ist es doch nicht mehr weit bis Old Chicago, oder? Ich

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