Tor der Daemmerung
Stockwerk. Vorsichtig paddelte ich durch das dreckige Wasser, vorbei an Schuttbrocken, Rohren und modrigen Stützpfeilern, bis ich die unterste Stufe packen konnte. Nachdem ich mich hochgezogen hatte, drehte ich mich zu Zeke um und griff nach seinem Arm, sodass er sich ebenfalls nach oben hieven konnte. Er zitterte so sehr, dass seine Zähne klapperten, was mich daran erinnerte, dass er ja nur ein Mensch war. Das Wasser hier war um einiges kälter als der Fluss damals, was mir selbst nichts ausmachte, aber Zeke konnte erfrieren, wenn wir nicht aufpassten.
»Alles klar?« Er verschränkte nur die Arme vor der Brust und bibberte bei jedem Windhauch. Die blonden Haare hingen ihm nass ins Gesicht und das Shirt klebte an seinem Oberkörper, was ihn noch schmaler wirken ließ. Sein Gesicht wirkte angespannt. »Willst du hier warten? Ich kann auch alleine gehen, wenn dir das lieber ist.«
»Es geht schon«, presste er mit zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wir müssen nur in Bewegung bleiben.«
Die Eisenstufen quietschten furchtbar und gerieten unter unserem Gewicht leicht ins Schwanken, aber wir schafften es bis zur Plattform und kletterten durch ein kaputtes Fenster zurück ins Innere der Arena.
»Ich sehe überhaupt nichts«, murmelte Zeke und hielt sich dicht hinter mir.
Ich schon. Dieser Raum hatte denselben maroden Charme wie die anderen Gebäude der Stadt: eine rissige Decke, bröckelnde Wände, Schutt und Müll auf dem Boden. Bei genauerem Hinsehen hätte ich beinahe laut gefaucht, denn aus den Schatten blickten mir leblose Gesichter entgegen, einige in zerlumpten Kostümen, andere mit fehlenden Gliedmaßen, die überall verstreut waren. Es dauerte einen Moment, bis ich erkannte, dass sie nicht echt waren. Nur Plastikfiguren, die wie Menschen aussahen.
Zeke zuckte erschrocken zusammen und griff nach seiner Pistole. Er hatte die gruseligen Gestalten ebenfalls entdeckt, und für das menschliche Auge mussten sie in dieser Dunkelheit noch verstörender wirken.
»Entspann dich, die sind nicht echt«, beruhigte ich ihn. »Das sind Statuen oder so.«
Schaudernd ließ Zeke die Waffe los. »Ich habe ja schon einige verrückte Sachen gesehen«, murmelte er kopfschüttelnd, »aber das hier übertrifft alles. Verschwinden wir von hier, bevor die Dinger noch in meinen Träumen auftauchen … oder anfangen, sich zu bewegen.«
Als ich auf dem Boden einen einzelnen Arm sah, fiel mir sofort der Spruch mit der helfenden Hand ein, aber das war wohl nicht der richtige Zeitpunkt für solche Scherze. Vorsichtig durchquerten wir den Raum und stießen am anderen Ende auf eine Tür, hinter der uns erneut ein dunkler, enger Korridor erwartete.
Sobald die Tür quietschend ins Schloss gefallen war, umfing uns pechschwarze Finsternis. Für meine Vampiraugen war die Welt in dieser absoluten Dunkelheit in trübe Grautöne getaucht. Aber wenigstens konnte ich noch etwas sehen. Zeke schob sich hingegen blindlings voran, eine Hand an der Wand, die andere tastend nach vorn ausgestreckt.
»Komm her«, sagte ich leise und griff nach der suchenden Hand. Im ersten Moment wurden seine Muskeln hart wie Stein, aber dann entspannte er sich mit einem knappen Nicken. »Folge mir einfach«, schlug ich vor und versuchte, den hektischen Pulsschlag an seinem Handgelenk auszublenden. »Ich werde dafür sorgen, dass du nicht hinfällst.«
Wachsam schlichen wir den dunklen Flur entlang und passierten dabei mehrere Räume, in denen verstaubte Kisten, sorgsam aufgehängte, muffige Kleider und abgedeckte Möbelstücke lagerten. Offensichtlich nutzten die Banditen diesen Teil des Gebäudes nicht, denn der Dreck und der feine Staub vom herabgefallenen Putz waren hier völlig unberührt. Abgesehen von zahllosen Mäusen und Ratten, die nun mit schnellen Trippelschritten in Wänden und Boden verschwanden, war hier seit Jahren niemand mehr gewesen. Einmal trat ich in eine weiche, schleimige Substanz, und als ich suchend nach oben blickte, entdeckte ich unter der Decke Hunderte von seltsamen Tieren, die aussahen wie geflügelte Mäuse. Wir liefen schnell weiter, sodass ich Zeke nichts davon sagte, aber aus irgendeinem verrückten Grund fühlte ich mich mit diesen kleinen, grotesken Wesen verbunden.
Im hinteren Teil des Gebäudes gab es so viele Räume, Gänge und Sackgassen, dass es auf mich wirkte wie ein verzweigtes Labyrinth. Einige Wände waren eingestürzt und manchmal mussten wir über ein Stück herabgefallene Decke oder Löcher im Boden hinwegsteigen.
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