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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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Zeke klammerte sich die ganze Zeit an meine Hand und geriet hin und wieder ins Stolpern, wenn sein verletztes Bein nachgab, doch größtenteils hielt er mit mir Schritt.
    Wir kletterten gerade über einen umgestürzten Pfeiler, als plötzlich ein explosionsartiges Krachen ertönte und ein Teil des Bodens unter uns nachgab. Reflexartig krallte ich mich mit einer Hand in den Pfeiler, mit der anderen hielt ich Zeke fest, während wir beide nach unten sackten. Verzweifelt drückte ich die Finger gegen die rostige Kante, während Zekes Gewicht mir fast den Arm aus dem Gelenk riss.
    Einen Moment lang schwebten wir so über dem bodenlosen Abgrund. Zeke keuchte laut und ich spürte seinen rasenden Puls unter meinen Fingerspitzen. Der restliche Boden über uns ächzte bedrohlich und hüllte uns in eine dicke Staubwolke, aber der Pfeiler hielt stand.
    Das Gewicht an meinem Arm gab ein ersticktes Geräusch von sich. Zeke krallte sich noch fester in meinen Unterarm. Prompt gerieten die Finger meiner anderen Hand etwas ins Rutschen. »Zeke«, stöhnte ich zähneknirschend, »direkt über uns ist ein Balken. Kannst du dich daran festhalten, wenn ich dich hochziehe?«
    »Ich … ich sehe nichts«, erwiderte er mit gepresster Stimme. Offenbar hatte er panische Angst. »Du musst mir die Augen ersetzen. Sag mir Bescheid, wenn ich nah genug dran bin.«
    Ich holte Schwung und schleuderte ihn bis zur Bruchkante des Bodens nach oben. Meine Schulter protestierte mit brennenden Schmerzen. »Jetzt«, gab ich das Signal, woraufhin Zeke den freien Arm hochriss und gleich beim ersten Versuch den Balken zu fassen bekam. Das Gewicht, das mich nach unten gezogen hatte, verschwand. Zeke hielt sich am Holz fest wie an einer Rettungsleine und zog sich daran hoch.
    Nun konnte auch ich aus dem Loch kriechen und mich neben Zeke auf den Boden fallen lassen. Erschöpft rollten wir uns auf den Rücken. Sein Atem ging stoßweise, der Adrenalinstoß ließ ihn zittern und sein Herz dröhnte in der Brust. Ich spürte gar nichts – kein Herzrasen, keine Atemnot, überhaupt nichts. Eine echte Nahtoderfahrung, und meine Reaktion war gleich null.
    Nein, das stimmt nicht. Etwas spürte ich doch: Erleichterung. Ich war erleichtert, dass Zeke noch lebte und hier bei mir war. Und als die Aufregung sich etwas legte, packte mich die Angst – nicht meinetwegen, sondern in Anbetracht dessen, was hätte passieren können. Ich hätte ihn beinahe verloren. Hätte ich ihn nicht halten können, wäre er jetzt tot.
    Zeke stützte sich auf einen Ellbogen und spähte in die Dunkelheit. »Allie?« Er klang zögernd, als müsse er sich erst orientieren. »Bist du noch da?«
    »Ja«, versicherte ich ihm leise. Sofort entspannte er sich. »Ich bin hier.«
    Vorsichtig stemmte er sich auf die Knie hoch und streckte tastend die Hand aus. »Wo denn?«, fragte er stirnrunzelnd. Durch die Finsternis geschützt beobachtete ich sein Gesicht, registrierte, wie sein Blick über mich hinwegglitt, ohne etwas zu sehen. »Du bist so still – fast so, als wärst du gar nicht da. Nicht mal dein Atem ist zu hören.«
    Ich stieß einen tiefen Seufzer aus, nur um ein Geräusch zu machen. »So ist das nun mal, wenn man tot ist.« Ich hockte mich hin, um ihn besser ansehen zu können. »Die Sache mit dem Atmen ist dann nicht mehr so wichtig.«
    Als ich nach seiner Hand greifen wollte, beugte er sich plötzlich vor und berührte meine Wange. Wärme breitete sich auf meiner Haut aus und ich erstarrte, wartete darauf, dass er sich zurückziehen würde.
    Aber das tat er nicht. Ganz leicht ruhten seine Fingerspitzen auf meiner Wange. Dann schob er die Hand langsam weiter vor, bis sie komplett an meinem Gesicht lag. Reglos starrte ich ihn an und beobachtete seine Miene, während er sich von meiner Wange zur Stirn vorarbeitete, dann runter zum Kinn – wie ein Blinder, der ein Gesicht abtastet, um es sich besser vorstellen zu können.
    »Was machst du nur mit mir?«, flüsterte er, während seine Hand zu meinem Hals glitt und mein Schlüsselbein erkundete. Selbst, wenn ich gewollt hätte, ich hätte beim besten Willen keine Antwort herausgebracht. »Deinetwegen stelle ich alles infrage, was ich gelernt habe, alles, was ich weiß. Wahrheiten, die ich seit meiner Kindheit verinnerlicht hatte, sind plötzlich in Auflösung begriffen.« Er seufzte schwer, gleichzeitig spürte ich, wie er von einem Schauder gepackt wurde, aber er zog seine Hand nicht zurück. »Was ist nur los mit mir?«, stöhnte er gequält.

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