Tor der Daemmerung
Gott, du lebst!«
Ich warf Stick einen verächtlichen Blick zu, als ich mein Zimmer betrat und mit einem Tritt die Tür hinter mir zuwarf. Hastig krabbelte er von meiner Matratze und starrte mich an, als wäre ich eine Fata Morgana. »Was glotzt du denn so?« Fragend musterte ich ihn. »Und was machst du überhaupt hier? Hast du etwa die ganze Nacht auf mich gewartet?«
»Hast du es denn nicht gehört?« Ziellos huschte Sticks Blick herum, als könnte in den Schatten jemand lauern, der uns belauschte. »Hat Lucas dir nichts gesagt?«
»Stick.« Mit einem tiefen Seufzer ließ ich mich auf die Matratze fallen. »Ich bin gerade erst zurückgekommen, nach einer ziemlich höllischen Nacht da draußen.« Ich drückte einen Arm vors Gesicht. »Ich bin müde und schlecht gelaunt, und falls nicht irgendjemand kurz davor ist abzukratzen oder die Vampire uns die Bude einrennen, will ich jetzt schlafen. Was auch immer es ist, kann es nicht bis morgen warten? Ich muss sowieso mit Lucas sprechen.«
»Die Vampire waren heute Nacht unterwegs«, fuhr Stick fort als hätte ich nichts gesagt.
Ich zog den Arm zurück und setzte mich auf, um ihn ansehen zu können. Mir lief es kalt den Rücken runter. Im Dämmerlicht wirkte sein Gesicht noch blasser und er hatte ängstlich die Lippen zusammengepresst. »Ich habe sie gesehen. Sie sind mit ihren Lakaien und Wachen und allem von Sektor zu Sektor gezogen, haben die Türen aufgebrochen und sind in die Häuser eingedrungen. Hierher sind sie nicht gekommen, aber Lucas hat uns vorsichtshalber alle in den Keller geschickt, bis er sicher war, dass sie weitergezogen waren. Angeblich … angeblich wurde jemand getötet … bei dem Versuch abzuhauen.«
»Haben sie jemanden verschleppt?«
Stick zuckte nur mit den knochigen Schultern. »Glaube nicht. Sie sind einfach rummarschiert, in einige Gebäude gegangen und dann wieder abgezogen. Lucas meinte, sie würden nach etwas suchen, aber niemand weiß, was das sein könnte.«
Oder wer . Ich dachte an den Vampir in den Tunneln. War er ein Teil der Suchmannschaft gewesen und hatte den Untergrund nach dem abgesucht, was die Blutsauger finden wollten? Oder … war er das mysteriöse Etwas, nach dem sie alle gesucht hatten? Aber irgendwie ergab das keinen Sinn. Warum sollten die Vampire einen aus den eigenen Reihen jagen?
Und falls doch, warum machten sie das dann nicht öfter?
»Es gibt Gerüchte, dass sie die gesamte Stadt abriegeln wollen«, erzählte Stick mit leiser, ängstlicher Stimme. »Sperrstunden, Wachen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, das volle Programm.«
Ich fluchte. Abriegelung war nie gut, und zwar nicht nur für die Unregistrierten. In der Vergangenheit war das schon zwei Mal vorgekommen, ein Mal, als im Saum ein Bandenkrieg getobt hatte und die Straßen mit Leichen gepflastert waren, und beim zweiten Mal hatte eine Plage verseuchter Ratten die ganze Stadt in Panik versetzt. Abriegelung war das letzte Mittel der Vampire, es war ihre Antwort, wenn die Dinge außer Kontrolle gerieten. Dann mussten nach der Sperrstunde alle in ihren Häusern bleiben, während bewaffnete Wachen in den Straßen patrouillierten. Jeder, den sie draußen erwischten, wurde ohne Vorwarnung erschossen.
»Was sollen wir jetzt tun, Allie?«
»Gar nichts«, antwortete ich, woraufhin er mich fassungslos anstarrte. Ich zuckte mit den Schultern. »Heute Nacht nichts mehr. In ein paar Stunden wird es hell, die Blutsauger kehren in ihre Türme zurück und bis zum Abend passiert sowieso nichts. Dann können wir anfangen, uns Gedanken darüber zu machen.«
»Aber …«
»Stick: Ich. Bin. Müde!« Entschlossen stand ich auf, packte ihn am Ellbogen und schob ihn zur Tür. »Falls Lucas noch wach ist, sag ihm, dass ich morgen mit ihm sprechen muss. Es ist wichtig. Sehr wichtig.« Er wollte protestieren, aber ich schubste ihn einfach über die Schwelle. »Hör zu, wenn du wach bleiben und dir wegen der Vampirsuche den Kopf zerbrechen willst, kannst du das meinetwegen auch für uns beide tun. Ich werde jetzt schlafen, solange es noch geht. Weck mich bei Sonnenaufgang, okay?« Und bevor er weitere Einwände finden konnte, schlug ich ihm die Tür vor der Nase zu.
Erschöpft ließ ich mich auf die Matratze fallen, drehte mich mit dem Gesicht zur Wand und schloss die Augen. Sticks Neuigkeiten waren zwar beunruhigend, aber ich hatte längst gelernt, dass es sinnlos war, sich wegen Dingen verrückt zu machen, die man nicht ändern konnte. So etwas raubte einem nur den
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