Tor der Daemmerung
sollte, aber trotzdem nahrhaft! Gierig saugte und zerrte ich an dem Plastikbeutel, holte die Nahrung raus und spürte, wie sie in meinen Magen lief.
Und dann, als der grauenhafte Hunger nachließ und das schmerzhafte Loch in meinem Inneren gestopft war, wurde mir bewusst, was ich da tat.
»Oh mein Gott.« Abrupt ließ ich den zerfetzten Beutel fallen und musterte meine blutverschmierten Hände. Überall um mich herum war der Betonboden mit dunklen Flecken überzogen. Ich spürte es an Mund, Lippen und Kinn, sein Geruch erfüllte meine Nase. »Oh Gott«, flüsterte ich wieder und rutschte auf meinem Hintern rückwärts, bis ich mit dem Rücken an eine Wand stieß. Voll Entsetzen starrte ich auf die grauenhafte Szenerie. »Was … was tue ich hier?«
»Du hast eine Wahl getroffen«, erklärte eine tiefe Stimme zu meiner Rechten, und sofort blickte ich hoch. Groß und ernst ragte der Vampir über mir auf. Hinter ihm stand eine flackernde Kerze auf einem Tischchen – das Licht, das mich vorhin geblendet hatte. Noch immer war es zu grell, und ich wandte mich schnell ab. »Du wolltest leben, wolltest eine von uns werden.« Er musterte den zerrissenen Blutbeutel, der jetzt ein Stück weit entfernt lag. »Du hast dich hierfür entschieden.«
Mit zitternden Händen bedeckte ich meinen Mund und versuchte, mich daran zu erinnern, was ich gesagt hatte. Doch ich sah immer nur das Blut und mich selbst, wie ich in meiner animalischen Wut an dem Beutel zerrte und ihn zerfetzte. Vorsichtig betastete ich Lippen und Oberkiefer, drückte an der Stelle gegen die Zähne, die so wehgetan hatte. Entsetzt sog ich den Atem ein.
Da waren sie. Fangzähne. Sehr lang und sehr, sehr spitz.
Erschrocken zog ich die Hand zurück. Dann war es also wahr. Ich hatte tatsächlich das Undenkbare getan. Ich war zu dem geworden, was ich auf dieser Welt am meisten hasste: einem Vampir, einem Monster.
Zitternd ließ ich mich gegen die Wand fallen. Als ich an mir herunterschaute, blinzelte ich überrascht. Meine alten Klamotten waren verschwunden. Statt des verblichenen Shirts und der abgewetzten Hose trug ich nun schwarze Jeans und ein dunkles Oberteil, das keinen einzigen Riss hatte. Meine verdreckte und wahrscheinlich blutverklebte Jacke war durch einen langen, schwarzen Mantel ersetzt worden, der ziemlich neu aussah.
»Was … was ist mit meinen Sachen passiert?«, fragte ich, prüfte den Mantelstoff und stellte überrascht fest, wie dick er war. Stirnrunzelnd sah ich den Vampir an. »Hast du mich angezogen?«
»Deine Kleidung wurde beim Angriff der Verseuchten völlig zerrissen«, informierte mich der Vampir, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Ich habe dir neue besorgt. Schwarz ist für uns die geeignetste Farbe, sie verbirgt die Blutflecken ziemlich gut. Keine Sorge«, nun schwang ein Anflug von Belustigung in seiner tiefen, leisen Stimme mit, »ich habe nichts gesehen.«
In meinem Kopf drehte sich alles. »Ich … ich muss gehen«, sagte ich unsicher und stand auf. »Ich muss … meine Freunde finden und sehen, ob sie es zu unserem Versteck zurückgeschafft haben. Stick ist wahrscheinlich …«
»Deine Freunde sind tot«, erklärte der Vampir gelassen. »Und ich würde dir empfehlen, jegliche Verbindung zu deinem früheren Leben zu durchtrennen. Dieser Welt gehörst du nicht länger an. Es ist besser, sie einfach zu vergessen.«
Tot. Vor meinem inneren Auge blitzten vereinzelte Bilder auf, von Regen, Blut und bleichen, kreischenden Wesen, die jemanden über einen Zaun zerrten. Fauchend schob ich diese Gedanken von mir und verschloss mich weiteren Erinnerungen. »Nein«, würgte ich schaudernd hervor. »Du lügst.«
»Lass sie gehen«, beharrte der Vampir leise. »Sie sind nicht mehr.«
Plötzlich hatte ich das unsinnige Bedürfnis, ihm knurrend die Fänge zu zeigen. Entsetzt unterdrückte ich den Impuls, behielt den Fremden aber wachsam im Auge, der mich seinerseits ausdruckslos musterte. »Du kannst mich nicht hier festhalten.«
»Wenn du gehen willst, so steht dir das frei.« Mit dem Kinn deutete er auf eine Tür am anderen Ende des kleinen Raums. »Ich werde dich nicht daran hindern. Doch dann wirst du innerhalb eines Tages tot sein, falls es überhaupt so lange dauert. Du hast keine Vorstellung davon, wie man als Vampir überlebt, wie man sich nährt, wie man sich vor Entdeckung schützt. Und wenn die Vampire dieser Stadt dich aufspüren, werden sie dich höchstwahrscheinlich töten. Du könntest aber auch hier bei mir bleiben und
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