Tor der Daemmerung
nichts, wozu du zurückkehren könntest.« Kanin nickte. »Gut, das wird die Sache einfacher machen. Wie ist sie gestorben?«
Langsam hatte ich genug von diesem Verhör. »Das geht dich nichts an, Vampir«, knurrte ich, um wenigstens irgendeine Reaktion bei ihm zu provozieren. Doch abgesehen von einer hochgezogenen Augenbraue blieb sein starres Gesicht unverändert. »Hat das für dich irgendeine Bedeutung? Warum solltest du dich für das Leben von irgendwelchen Menschen interessieren?«
»Das tue ich nicht«, widersprach der Vampir achselzuckend. »Wie gesagt, ich versuche auszuloten, welche Erfolgschancen ich habe. Menschen haben die Tendenz, sich an die Vergangenheit zu klammern, was sich bei ihrer Unterweisung als äußerst problematisch erweisen kann. Je mehr Verbindungen ein Mensch hat, desto schwerer fällt es ihm, loszulassen, wenn er zum Vampir wird.«
Ich ballte die Fäuste, um die plötzlich aufflammende Wut zu unterdrücken. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihm eine reingehauen, so undankbar das auch gewesen wäre, aber ich wusste genau, dass er mir ohne großes Federlesen den Kopf abreißen konnte. »Tja, im Moment fange ich an, diese Entscheidung zu bereuen.«
»Dazu ist es etwas zu spät, denkst du nicht?«, fragte Kanin sanft und erhob sich. »Nimm dir einen Moment Zeit«, riet er mir, während er Richtung Tür ging. »Meinetwegen trauere um dein vergangenes Leben, denn du wirst niemals dorthin zurückkehren. Wenn du bereit bist, herauszufinden, was es bedeutet, ein Vampir zu sein, such nach mir.«
Damit öffnete er die Tür, ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, hinaus und ließ mich allein.
Nachdem Kanin weg war, setzte ich mich auf den Stuhl, kratzte mir das getrocknete Blut von den Fingern und überlegte, was ich als Nächstes tun sollte.
Okay, jetzt bin ich also ein Vampir. Obwohl sich mir bei diesem Gedanken die Nackenhaare aufstellten, versuchte ich, nicht zu lange darauf herumzureiten – hätte ich abgelehnt, wäre ich dort draußen im Regen gestorben. Kanin hatte recht, es war meine Entscheidung gewesen. Ich hatte diese Wahl getroffen. Ich hatte beschlossen , eine Untote zu werden, nie mehr die Sonne zu sehen und das Blut der Lebenden zu trinken.
Schaudernd versetzte ich dem leeren Plastikbeutel einen Tritt. Genau dieser Teil beunruhigte mich so, na ja, und die ganze Sache mit dem untoten, seelenlosen Monster. Krampfhaft versuchte ich, diese Überlegungen zu verdrängen. Ganz klar, Vampire waren Raubtiere, aber möglicherweise gab es ja einen Weg, sich nicht von Menschen zu nähren. Vielleicht konnte ich mit Tierblut überleben, obwohl auch die Vorstellung, eine lebendige, sich windende Ratte zu beißen, verstörend war. Mussten Vampire Menschenblut trinken, oder bevorzugten sie es lediglich? Wie oft mussten sie sich eigentlich nähren? Wo und wie schliefen sie tagsüber? Mir wurde klar, dass ich abgesehen davon, dass sie Blut tranken und nur nachts rauskamen, so gut wie nichts über die berühmtesten Einwohner dieser Stadt wusste, auch wenn ich bereits seit siebzehn Jahren hier lebte.
Tja, es gibt da jemanden, der dir all das erklären könnte.
Trotzdem rang ich noch einen Moment mit mir. Er war ein Vampir, aber ich musste diese Dinge lernen, wenn ich überleben wollte. Vielleicht konnte ich später, sobald ich alles Notwendige wusste, Rache nehmen – für Mom, Stick, Lucas und alle anderen, die man mir genommen hatte. Aber jetzt galt es, meinen Stolz herunterzuschlucken und zu lernen, wie man eine Untote war.
Widerwillig stand ich auf und ging auf die Suche nach meinem neuen Mentor.
Die Tür führte zu einem weiteren Zimmer, das früher ein Büro gewesen sein mochte. An einer Wand lagen einige zerbrochene Stühle und der Boden war übersät mit Papier, das aus ein paar umgekippten Metallschränken hervorquoll. Ganz hinten an der Wand saß Kanin an einem großen, verstaubten Holzschreibtisch, der voller Kratzer war. Als ich hereinkam, blickte er von einem Stapel Akten auf und hob eine Augenbraue.
»Ich habe ein paar Fragen«, begann ich, im selben Moment zweifelnd, ob das vielleicht unpassend war. Aber was kümmerte mich das. »Über Vampire und diese ganze Sache mit dem Bluttrinken.«
Kanin klappte einen Aktenordner zu, legte ihn beiseite und deutete mit dem Kopf auf einen der Stühle. Ich stellte ihn auf, setzte mich verkehrt herum drauf und stützte die Arme auf die Rückenlehne.
»Lass mich raten«, sagte er und verschränkte die Finger. »Du fragst dich,
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