Tor der Daemmerung
Wenn es für dich eine Rolle spielt, ob du sie völlig aussaugst oder nicht, musst du das richtige Maß finden. Normalerweise sind fünf oder sechs Schluck genug.«
Angewidert blickte ich auf den Schläger hinunter. Einen Blutbeutel annagen war eine Sache, aber einen lebendigen, atmenden Menschen in den Hals beißen? Vor einer Sekunde, als Hunger und Wut in mir getobt hatten, war ich noch so scharf darauf gewesen, aber jetzt wurde mir allein bei der Vorstellung übel.
Kanin ließ mich nicht aus den Augen. »Entweder tust du es, oder du hungerst so lange, bis du in Raserei verfällst und jemanden tötest«, erklärte er ausdruckslos. »So sind wir Vampire, das ist unser grundlegendstes und ursprünglichstes Bedürfnis. Also …« Mit einer Hand hob er den Kerl hoch, packte mit der anderen seine Haare und riss seinen Kopf nach hinten, sodass die Kehle freilag. »Trink.«
Widerwillig machte ich einen Schritt auf ihn zu. Der Mensch stöhnte und versuchte, mich abzuwehren, aber ich schlug mühelos seine Arme beiseite und beugte mich über seinen Hals. Als ich einatmete und das warme Blut spürte, das so dicht unter seiner Haut pulsierte, wuchsen meine Fangzähne. Mit überwältigender Intensität stieg mir der Duft des Lebens in die Nase und legte sich auf meine Zunge. Bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte, drängte ich mich an ihn und biss zu.
Der Blood Angel keuchte auf, fuhr zusammen und zuckte dann schwach. Warmes Nass flutete in meinen Mund, reichhaltig, heiß und kräftig. Knurrend biss ich noch fester zu, was meinem Opfer einen erstickten Schrei entlockte. Ich spürte, wie die Wärme durch meinen gesamten Körper strömte und mich mit Stärke und Macht erfüllte. Es war berauschend. Es war … einfach unbeschreiblich. Schlichtes, reines Wohlbehagen. Fast wie in Trance fielen mir die Augen zu und alles in mir schrie nach mehr, immer mehr …
Jemand packte meine Haare, zog mich von meiner Beute fort und unterbrach so die Verbindung. Fauchend versuchte ich, noch einmal vorzustürmen, aber ein Arm schob sich mir in den Weg und drängte mich zurück. Der Körper des Schlägers fiel wie eine Gummipuppe zu Boden. Wieder fauchte ich und versuchte, zu ihm zu gelangen, kämpfte gegen den Arm an, der mich aufhielt.
»Genug!«, befahl Kanin mit unerbittlicher Autorität und schüttelte mich. Mein Kopf schleuderte unkontrolliert hin und her, bis mir schwindelig wurde. »Genug, Allison«, wiederholte er, als ich langsam wieder klar sehen konnte. »Wenn du noch mehr nimmst, wirst du ihn töten.«
Blinzelnd trat ich einen Schritt zurück. Der Hunger ließ nach und war nun nicht mehr ganz so fieberhaft und fordernd. Entsetzt starrte ich auf den Blood Angel, der zusammengesunken auf dem Asphalt lag. Er war blass, atmete kaum noch und hatte zwei dunkle Bisswunden am Hals, aus denen noch immer Blut sickerte. Fast hätte ich ihn umgebracht. Schon wieder. Wäre Kanin nicht gewesen, hätte ich ihn bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt. Selbstekel machte sich in mir breit. So sehr ich die Vampire auch hasste, bei aller Entschlusskraft, nicht so zu sein wie sie, war ich doch nicht besser als die schlimmsten Blutsauger, die hier die Straßen unsicher machten.
»Verschließe die Wunde«, befahl Kanin und zeigte auf den Gangleader. Seine Stimme klang kalt, ohne jedes Mitgefühl. »Bringe zu Ende, was du begonnen hast.«
Erst wollte ich fragen, wie, aber plötzlich wusste ich es. Vorsichtig drückte ich meine Zunge gegen die beiden kleinen Wunden und spürte, wie sie sich schlossen. Selbst jetzt konnte ich fühlen, wie das Blut langsam durch die Adern gepumpt wurde, sodass ich meine gesamte Willenskraft aufbringen musste, um nicht ein zweites Mal zuzubeißen.
Ich stand auf und drehte mich zu Kanin um, der knapp nickte. Mit freudloser, unnachgiebiger Stimme sagte er: »Jetzt verstehst du es.«
Und das tat ich. Ich musterte die Körper, die auf dem Platz herumlagen, die Zerstörung, die ich angerichtet hatte, und ich verstand. Ich war wahrhaftig kein Mensch mehr. Menschen waren Beute. Ich gierte nach ihrem Blut wie ein Junkie. Sie waren Schafe, Vieh, und ich war der Wolf, der sie durch die Nacht jagte. Ich war zu einem Monster geworden.
»Von nun an«, fuhr Kanin fort, »musst du dich entscheiden, welche Art von Dämon du sein willst. Nicht jede Mahlzeit wird sich so einfach präsentieren, so unwissend und darauf aus, dir Schaden zuzufügen. Was wirst du tun, wenn deine Beute dich zu sich einlädt, dir einen Platz an ihrem
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