Tor der Daemmerung
schwarz und seelenlos. »Die Ratten hier haben sie dazu benutzt, ihre knochigen kleinen Hintern zu wärmen.«
Mit dem Kinn deutete er in eine Ecke. Auf meiner alten Matratze lagen zwei menschliche Körper, verhärmte, abgerissene Gestalten – die Plünderer, die hier eingezogen waren. Ihre unnatürliche Starre und der Geruch nach kaltem Blut verrieten mir, dass sie tot waren. Bei genauerem Hinsehen waren große Löcher an ihrem Hals erkennbar, an denen die Haut rot verschmiert und rissig war, als wäre ihnen die Kehle herausgerissen worden. Pures Entsetzen packte mich und trieb mich beinahe in die Flucht, nur weg von diesem Vampir, von diesem Monster.
Aber direkt neben der Matratze war der Betonboden schwarz und verkohlt, und ich musste einfach wissen, was das zu bedeuten hatte. Als ich einzelne Buchseiten erkannte, die überall in der Asche verstreut lagen, verließ mich der letzte Funken Hoffnung. All die Zeit, all die Arbeit, und am Ende war meine Sammlung verbrannt worden, nur damit zwei Plünderer sich wärmen konnten.
Der fremde Vampir lachte wieder. »Jetzt brauchen sie keine Worte mehr«, philosophierte er. »Weder zum Lesen noch zum Feuer machen oder um sie anzunagen. Ständig nagen sie alles an, diese Ratten. Kriechen an die dunkelsten Orte, um sich warmzuhalten, und verteilen überall ihren Dreck. Keine Worte mehr für sie. Überhaupt nichts mehr.« Sein hohles Kichern löste geradezu körperliches Unbehagen aus.
Noch einmal unterdrückte ich den Impuls, meine Waffe zu ziehen. Obwohl er keinerlei Drohgebärden machte, hatte ich das Gefühl, eine träge aufgerollte Giftschlange vor mir zu haben. »Wer sind Sie?«, fragte ich schließlich, und sofort richtete sich sein leerer Blick auf mich. »Was wollen Sie in New Covington?«
»Ich bin lediglich auf der Suche nach etwas, kleines Vögelchen.« Er schenkte mir ein gruseliges Lächeln, doch diesmal zeigte er ansatzweise seine Fänge. »Und wenn du meinen Namen wissen willst, wirst du mir auch deinen verraten müssen. Das gebietet die Höflichkeit, und wir leben schließlich in einer von Höflichkeit geprägten Gesellschaft.«
Ich zögerte. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht, dass dieser unheimliche Blutsauger meinen Namen kannte. Dabei machte ich mir nicht einmal Sorgen, dass er ihn dem Prinzen verraten könnte, denn Kanin zufolge erinnerte der Prinz sich selten an den Namen irgendeines Vampirs in seiner Stadt, besonders nicht an das Typ-3-Gesindel. Ihn interessierte nur sein engerer Kreis; gewöhnliche Vampire waren seiner Aufmerksamkeit nicht würdig.
Aber ich wollte nicht, dass dieser Vampir etwas über mich wusste, denn irgendwie ahnte ich, dass er sich sehr wohl erinnern würde, und das schien mir keine gute Idee zu sein.
»Nein?« Als ich schwieg, lächelte er wieder, wirkte aber nicht überrascht. »Du wirst ihn mir nicht sagen? Das kann ich dir wohl nicht verdenken, immerhin bin ich ja ein Fremder. Doch dann wirst du mir nachsehen müssen, wenn ich dir meine Identität ebenfalls nicht enthülle. Heutzutage kann man ja nicht vorsichtig genug sein.«
»Ich möchte, dass Sie gehen«, verkündete ich mit gespielter Kühnheit. »Das hier ist mein Sektor, mein Jagdrevier. Ich will, dass Sie verschwinden. Sofort.«
Mit einem langen, unheimlichen Blick schien er mich abzuschätzen. Dabei stand er völlig still, aber ich spürte, wie die Sehnen unter der bleichen Haut sich anspannten, jederzeit zum Angriff bereit. Und ganz plötzlich hatte ich Angst vor diesem Fremden, diesem dürren, reglosen Vampir, dessen Augen ebenso dunkel und seelenlos waren wie die von Kanin. Meine Hände begannen zu zittern, sodass ich schnell die Arme verschränkte, um es zu verbergen. Der Fremde würde mit Sicherheit jedes kleinste Detail bemerken. Ich wusste, dass ich einem Killer gegenüberstand.
Schließlich lächelte er wieder. »Aber natürlich«, sagte er, nickte leicht und trat einen Schritt beiseite. Ich war so erleichtert, dass mir die Knie weich wurden. »Es tut mir schrecklich leid, Liebes, ich wollte ganz sicher nicht stören. Ich werde dann jetzt gehen.«
Er wandte sich zur Tür, zögerte aber und warf mir einen nachdenklichen Blick zu. »Dein Lied klingt so ganz anders als seines, kleines Vögelchen«, säuselte er und verwirrte mich damit total. »Enttäusche mich nicht.«
Ich gab keine Antwort. Starr hielt ich seinem Blick stand und hoffte, er würde endlich gehen. Der Vampir schenkte mir noch ein letztes, furchtbares Lächeln, dann drehte er sich um
Weitere Kostenlose Bücher