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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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verständnisvollen Stimme. »Wenn du es mir jetzt sagst, erspart mir das die Mühe, dir die Finger einzeln auszureißen.«
    »Er ist nicht hier«, erwiderte ich, was mein Gegenüber nicht sonderlich zu überraschen schien.
    »Noch immer nicht zurück? Ich muss ihn stärker erwischt haben als gedacht. Nun gut, wir können ja auf ihn warten. Ich habe alle Zeit der Welt.«
    »Was haben Sie mit ihm gemacht?«
    Er knabberte an einem Fingernagel, fuhr sich mit der Zunge über die schmalen Lippen und grinste mich an. »Hast du schon mal einen Fisch filetiert?«
    »Wie bitte?« Gott, dieser Typ war wirklich gruselig. »Was zum Teufel reden Sie da?«
    »Nein? Es ist ziemlich einfach.« Metall blitzte auf und plötzlich hielt der Vampir eine schmale, glänzende Klinge in der Hand. Erschrocken zuckte ich zusammen – er war so schnell gewesen, dass ich die Bewegung nicht einmal gesehen hatte. »Man muss anfangen, sie zu häuten, sobald man sie aus dem Wasser zieht, noch bevor sie die Gelegenheit haben, zu sterben. Einfach das Messer ins Fleisch schieben und ziehen …« Er demonstrierte es mit seinem Schwert, indem er es langsam durch die Luft gleiten ließ. »… dann löst sich die Haut ganz einfach ab.« Er sah mir in die Augen und sein Grinsen wurde so breit, dass es seine Fänge entblößte. »Das habe ich mit Kanins letztem kleinem Fisch gemacht. Der hat geschrien, oh ja, wie er geschrien hat. Es war wahrlich imposant.« Mahnend wackelte er mit dem Messer. »Ob du wohl auch so dienstbar sein wirst?«
    Meine Arme zitterten so stark, dass mein Schwert bebte. Ich umklammerte den Griff um so fester, damit es aufhörte. Mich hatte eine solche Angst gepackt, dass ich mich kaum noch rühren konnte. Ohne dass ich es verhindern konnte, tauchte vor meinem inneren Auge ein Bild auf: ein Körper, der an einer Zimmerdecke aufgehängt war. Von den Muskeln war die Haut abgeschält worden und die Gestalt wand sich unter lauten Schmerzensschreien. Hastig verdrängte ich diesen Gedanken, bevor mir auch noch schlecht wurde.
    »Warum … warum hassen Sie ihn so sehr?«, fragte ich, um ihn abzulenken und mir etwas Zeit zu erkaufen. Zu meinem Ärger zitterte meine Stimme. Verdammt, vor diesem Psycho durfte ich keine Angst zeigen! Ich biss mir auf die Wange, bis ich Blut schmeckte, was ausreichte, um meinen inneren Dämon zu wecken. Die folgenden Worte klangen entschlossener: »Warum wollen Sie ihn töten?«
    »Ich will ihn nicht töten«, korrigierte mich der Vampir verblüfft. »Das wäre viel zu gut für Kanin. Er hat es dir doch sicher erzählt – wer er ist, was er getan hat. Oder nicht?« Amüsiert schüttelte er den kahlen Schädel und lachte leise. »Lässt deine Abkömmlinge immer im Ungewissen, wie, alter Freund? Sie ahnen nicht einmal, warum sie deinetwegen leiden müssen.« Langsam kam er auf mich zu, und sofort spannten sich meine Muskeln an, bereit zum Rückzug. Doch der Vampir ging nur an der Wand entlang und strich mit den Fingern über eine der Metalltüren. Jetzt lächelte er nicht mehr, stattdessen war sein Gesicht vollkommen ausdruckslos, was ihn noch tausend Mal unheimlicher aussehen ließ.
    »Ich erinnere mich noch gut«, flüsterte er mit eiskalter Stimme. »Das werde ich nie wieder aus meinem Gedächtnis löschen können. Die Schreie. Das Blut an den Wänden. Mit anzusehen, wie alle um mich herum zu diesen Kreaturen wurden.« Zitternd verzog er die Lippen, und mit einem Mal hatte er unglaubliche Ähnlichkeit mit den Wesen draußen in den Ruinen. »Dieselben Nadeln haben sie auch in mich hineingestochen, dieselbe Krankheit auch in mich hineingepumpt. Aber ich habe mich nicht verwandelt. Das habe ich mir nie erklären können, warum ich mich nicht verwandelt habe.«
    Mit einem hastigen Blick versuchte ich, die Distanz zum Ausgang abzuschätzen. Zu weit. Psycho-Vamp war wahrscheinlich genauso schnell wie Kanin, also wesentlich schneller als ich. Ich würde mir mehr Zeit erkaufen müssen, zumindest ein paar Sekunden.
    Ohne mein Schwert loszulassen, bückte ich mich vorsichtig und tastete nach dem vertrauten Umriss unter meiner Jeans. Ganz langsam zog ich das Messer hervor und klappte die winzige Klinge auf, um sie anschließend in meiner Handfläche zu verbergen.
    »Aber inzwischen weiß ich es.« Psycho-Vamp drehte sich zu mir um. Das grauenhafte Lächeln war zurück. »Ich weiß, warum ich verschont wurde. Um den zu strafen, der für unsere Schmerzen verantwortlich ist. Für jeden Schrei, jeden Tropfen Blut, jedes Stück

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