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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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er mich so schnell aufspüren würde.«
    »Geht es dir gut?«
    Ohne zu antworten, stieß er sich von der Wand ab. »Wir müssen von hier verschwinden«, fuhr er nahtlos fort. »Beeil dich, uns bleibt nicht viel Zeit.«
    »Meinst du denn, Smiley kommt hier raus?« Zweifelnd blickte ich auf die Tür. »Im Ernst? Das ist solider Stahl, fast einen Meter dick.«
    »Nein, Allison.« Mit finsterer Miene drehte sich Kanin zu mir um. »Dein Freund hat heute Abend die Obrigkeit informiert und ihnen verraten, dass sich auf dem alten Klinikgelände zwei nicht autorisierte Vampire herumtreiben. Die Männer des Prinzen sind bereits auf dem Weg hierher. Wir müssen sofort los.«
    Entsetzt starrte ich ihn an und konnte nicht glauben, was er da gesagt hatte. »Nein.« Doch er wandte sich bereits ab und marschierte den Korridor hinunter. »Du musst dich irren. Stick würde mir das niemals antun. Diese eine Regel befolgt wirklich jeder – man verpfeift niemanden an die Blutsauger, unter gar keinen Umständen.«
    »Du bist jetzt ein Blutsauger«, korrigierte mich Kanin mit müder, dumpfer Stimme. »Und es spielt auch keine Rolle. Irgendjemand hat ihnen einen Tipp gegeben, und jetzt kommen sie hierher. Wenn sie uns erwischen, bringen sie uns um. Wir müssen die Stadt verlassen.«
    »Wir hauen ab?« Hastig lief ich hinter ihm her. In meinem Magen breitete sich ein ungutes Gefühl aus. »Wo gehen wir denn hin?«
    »Ich weiß es nicht.« Völlig unvermittelt schlug Kanin mit der Faust gegen die Wand, sodass ich heftig zusammenzuckte. »Verdammt«, knurrte er und ließ den Kopf hängen. »Verdammt, ich war so nah dran. Hätte ich doch nur ein bisschen mehr Zeit …« Wieder prügelte er auf die Wand ein und hinterließ ein tiefes Loch im Putz. Ich fröstelte. Was auch immer er gesucht, das, wonach er die ganze Zeit geforscht hatte – jetzt war es offenbar verloren. Entweder hatte er es nicht gefunden, oder es war nie hier gewesen. Die langen Wochen, in denen er herumgeschnüffelt und bergeweise Akten und Dokumente gewälzt hatte, waren völlig umsonst gewesen.
    Und dann rutschten plötzlich die ganzen Puzzleteilchen an ihren Platz: seine Nachforschungen, die Krankenzimmer, der verrückte Vampir mit seinem Rachefeldzug. Endlich ging mir ein Licht auf, und ich kam mir vor wie ein Idiot, weil ich es nicht schon früher begriffen hatte.
    »Du warst das.« Prüfend starrte ich die zusammengesunkene Gestalt an der Wand an. Ich war mir nicht ganz sicher, glaubte aber zu sehen, wie er bei meinen Worten kaum merklich zusammenzuckte. »Du warst der Meistervampir, der die anderen verraten hat, um ein Heilmittel gegen die Rote Schwindsucht zu finden. Du warst es, der mit den Wissenschaftlern gemeinsame Sache gemacht hat. Und das hier …, ich drehte mich halb zu der Stahltür um, »das ist der Ort, wo das alles passiert ist. Davon hat Smiley also gesprochen, die Experimente, die Schreie. Du bist verantwortlich für die Verseuchten!«
    Kanin richtete sich auf, sah mich aber nicht an. »Diesen Vampir gibt es nicht mehr.« Seine Stimme war kälter, als ich es je erlebt hatte. »Er war dumm und idealistisch und sein Vertrauen in die Menschheit war schrecklich fehlgeleitet. Es wäre besser gewesen, wenn er dem Virus freien Lauf gelassen hätte – einige Menschen hätten mit Sicherheit überlebt, sie überleben schließlich immer irgendwie. Und wenn unsere Art dabei verhungert und die Spezies der Vampire ausgestorben wäre, wäre das vermutlich immer noch besser gewesen als das hier.«
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich hätte ich ihn hassen müssen: Er war der Vampir, dessen Taten das Grauen erschaffen hatten, er war verantwortlich dafür, dass die Verseuchten sich ausgebreitet hatten, er hatte indirekt dafür gesorgt, dass die gesamte menschliche Rasse versklavt worden war. Doch selbst in meiner schwärzesten Wut erreichte ich nicht die Abgründe des Selbstekels, den ich in Kanins Stimme hörte. Den Ekel und den erbitterten Hass auf den Vampir, der beide Spezies dem Untergang preisgegeben hatte, und zugleich das verzweifelte Bedürfnis, alles wieder gut zu machen.
    »Gehen wir«, sagte er schließlich und setzte sich wieder in Bewegung. »Wir müssen uns auf den Weg machen. Nimm nur das mit, was du unbedingt brauchst, wir reisen mit leichtem Gepäck. Außerdem bleiben uns nur wenige Stunden, um die Stadt zu verlassen und uns durch die Ruinen zu schlagen.«
    »Ich kann sofort los.« Demonstrativ hielt ich mein Schwert hoch. »Abgesehen

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