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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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könnte, das den Menschen zustand, wenn sie starben. Falls etwas Derartiges überhaupt existierte.
    Aber wenn es einen Himmel gab, dann wohl auch … die andere Seite.
    Schaudernd kroch ich durch das Gras und schaufelte mir ein Loch, das sich um mich schloss wie ein Grab. Vielleicht war ich wirklich ein Dämon und noch dazu ein Feigling, und vielleicht hatte ich es ja verdient, zu verbrennen, aber letzten Endes wollte ich nicht sterben. Selbst wenn ich mich damit auf ewig verdammte, würde ich mich immer für das Leben entscheiden.
    Dennoch wünschte ich mir zum ersten Mal seit dem Angriff in dieser schrecklichen Nacht in den Ruinen, Kanin hätte mich nicht gerettet.

11
    Als ich am nächsten Abend aufstand, waren die Leichen steif und wächsern geworden und hatten bereits Krähen und andere geflügelte Aasfresser angezogen. Da es das Mindeste war, was ich tun konnte, verscheuchte ich die Vögel und zog die Körper von der Straße ins hohe Gras, wo ich sie dem Wirken der Natur überließ. Die beiden Fahrzeuge hatten wohl keinen Sprit oder Strom oder sonstige Antriebsmittel mehr, denn ihre Scheinwerfer waren erloschen und sie gaben keinen Ton mehr von sich. Vielleicht hätte ich eines davon benutzen können, aber andererseits war ich bisher noch nie mit irgendetwas gefahren, und selbst wenn sie noch funktionstüchtig gewesen wären, wirkten sie doch sehr kompliziert. Also ließ ich sie am Straßenrand stehen und setzte meine Reise mit unbekanntem Ziel fort.
    Ein oder zwei Nächte vergingen ohne irgendein Ereignis. Ich wanderte durch kleine Ortschaften und Ansiedlungen, alle leblos, zugewuchert und menschenleer. Hin und wieder stieß ich auch auf Kreuzungen, wo sich Straßen in andere Richtungen verloren, aber ich blieb auf dem Weg, den ich eingeschlagen hatte. Langsam gewöhnte ich mich an die Stille, die Einsamkeit und den endlosen Himmel über mir. Die Sterne waren meine einzigen dauerhaften Begleiter, auch wenn ich hier und da Rehe, kleinere Säuger oder Herden von zottigen Tieren mit Hörnern entdeckte, die über die Ebenen zogen. Sobald die Sonne bedrohlich dicht hinter dem Horizont stand, grub ich mir ein Loch und schlief, nur um in der folgenden Nacht genauso weiterzumachen. Das alles wurde zur Gewohnheit: aufstehen, Dreck abschütteln, mich derselben Richtung zuwenden wie am Vorabend und losgehen. An die Stadt dachte ich nicht mehr. Auch nicht an Kanin. Oder an sonst irgendetwas, das hinter mir lag. Stattdessen beschäftigte ich mich mit der Frage, was mich wohl hinter der nächsten Anhöhe erwartete, oder hinter dem nächsten Hügel. Manchmal fantasierte ich mir eine ferne Stadt mit funkelnden Lichtern zusammen, oder den Strahl eines entgegenkommenden Scheinwerfers. Hin und wieder glaubte ich sogar einen anderen Reisenden zu sehen, der durch die Dunkelheit auf mich zukam. Natürlich war nichts davon Wirklichkeit: keine Lichter, keine Fahrzeuge, keine Menschen. Nur ödes, weites Land und die Überreste ehemaliger Häuser oder Farmen. Irgendwann erschien mir die Begegnung mit den beiden Männern wie ein entfernter, verschwommener Traum, etwas, das gar nicht wirklich geschehen war, denn ich kam mir zunehmend vor wie das letzte denkende Lebewesen auf dieser Welt.
    In keiner dieser Nächte liefen mir Verseuchte über den Weg, was mich zumindest am Anfang verwunderte, denn ich hatte schon erwartet, mich an einigen von ihnen vorbeikämpfen zu müssen. Aber vielleicht hielten sich die Verseuchten nur in der Nähe von Städten und Ortschaften auf, wo sie menschliche Beute finden konnten. Oder sie machten sich wie der Bär nicht die Mühe, Vampire zu jagen. Möglicherweise erweckten auch nur lebende, atmende Wesen ihre Aufmerksamkeit.
    Vielleicht dachten sie aber auch, Vampire wären genau wie sie selbst.
    Schließlich führte mich die Straße erneut durch eine Geisterstadt. Mit ihren verrosteten Autowracks und den verlassenen, stark verfallenen und von Pflanzen bewachsenen Gebäuden unterschied sie sich kaum von den anderen, die ich bis hierher gesehen hatte. Als ich an den Überresten einer Tankstelle vorbeikam, überlegte ich automatisch, ob die Lebensmittelvorräte hier wohl schon geplündert waren. Im nächsten Augenblick wurde mir bewusst, dass ich keinen Grund mehr hatte, das zu überprüfen. Das war nicht ohne Ironie, aber zugleich auch ein wenig traurig. Für die alte Allie wäre ein solcher Ort eine potenzielle Schatzkammer gewesen. In den Häusern, den verlassenen Geschäften und den leeren Tankstellen

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