Tor der Daemmerung
färbten, grub ich mich in der Erde ein und wachte in der nächsten Nacht auf, noch immer ohne jede Vorstellung davon, wo ich mich befand oder wohin ich mich wenden sollte. Auf meiner Reise begegnete ich weder Mensch noch Vampir, und von den vielen Tieren, die es hier gab, sah ich die meisten zum ersten Mal. Ihre Namen kannte ich nur aus Geschichten: Füchse und Stinktiere, Kaninchen und Eichhörnchen, Schlangen, Waschbären und zahllose Rehe in kleineren Horden. Größere Raubtiere sah ich auch: An einem Abend streifte lautlos ein Wolfsrudel durch den Wald, ein anderes Mal entdeckte ich eine große, gelb-braune Katze, deren Augen in der Dunkelheit leuchteten. Sie behelligten mich nicht und ich machte ebenfalls einen Bogen um sie, sozusagen aus Respekt unter Räubern.
In der sechsten Nacht verließ ich mein flaches Grab mit einem drängenden Gefühl im Bauch und spürte, wie meine Fänge gegen die Unterlippe drückten. Ich war hungrig. Ich musste jagen.
Das kleine Rudel Rehe, das auf einer Lichtung graste, flüchtete bei meinem Anblick, aber ich war schneller, warf mich auf einen Bock und riss ihn von den Hufen. Blökend landete er auf dem Boden und trat wild um sich. Das Blut, das in meinen Mund strömte, war heiß und hatte einen starken Wildgeschmack. Ich spürte, wie es in meinen Magen lief, aber der nagende Hunger blieb. Ich riss ein zweites Reh und stürzte sein Blut herunter, aber der Effekt war derselbe – immer noch war ich hungrig.
Andere Tiere konnten mich genauso wenig sättigen. Ausgehungert ging ich schlafen, und jeden Abend, wenn ich mich aus der Erde erhob, machte ich mich auf die Jagd, erlegte alles, was ich finden konnte, und saugte es aus. Nichts davon half. Mein Magen war voll, manchmal sogar bis zum Anschlag. Ich konnte spüren, wie er gegen meine Rippen drückte. Aber der Hunger wurde nur immer stärker.
Bis ich eines Nachts voller Verzweiflung ein Reh durch das Unterholz hetzte und mit einem Hechtsprung hinter ihm her plötzlich auf Beton landete.
Blinzelnd rappelte ich mich auf und ließ das Reh davonhuschen. Ich stand mitten auf einer Straße, oder zumindest war es einmal eine gewesen. Inzwischen war sie mit Unkraut und Büschen bewachsen und aus den unzähligen Rissen im Asphalt brachen dicke Grasbüschel hervor. Der Wald drängte von beiden Seiten heran und drohte, den Weg endgültig zu verschlingen, aber noch war er da – ein schmaler Streifen, der sich zwischen den Bäumen hindurchzog und in beiden Richtungen in der Dunkelheit verschwand.
Entschlossen drängte ich die Aufregung zurück. Es gab keine Garantie, dass diese Straße noch irgendwohin führte. Aber ihr zu folgen war wesentlich vielversprechender, als einfach nur ziellos durch die Wildnis zu stapfen, und momentan war ich für alles dankbar, das sich als Lösung anbot.
Vollkommen wahllos entschied ich mich für eine Richtung und machte mich auf den Weg.
Ich verschlief einen weiteren Tag in einem erdigen Grab am Straßenrand und erwachte am Abend restlos ausgehungert. Meine Fänge wuchsen unkontrolliert und beim kleinsten Geräusch und jeder Bewegung in der Dunkelheit horchte ich auf. Der Drang zur Jagd war überwältigend, aber dadurch würde ich nur Zeit und Energie verschwenden, den grauenhaften Hunger, der an meinen Eingeweiden nagte, würde das nicht stillen. Also ging ich einfach weiter, immer die Straße entlang, während mein Mund austrocknete und mein Magen drohte, sich selbst zu verdauen.
Wenige Stunden vor Sonnenaufgang lichtete sich endlich der Wald und ging bald darauf in eine hügelige Graslandschaft über, in der kaum noch ein Baum zu sehen war. Ich war erleichtert, denn langsam hatte ich ernsthaft daran gezweifelt, dass der Wald jemals ein Ende nehmen würde.
Unter freiem Himmel verbreiterte sich die Straße. Hier draußen war es sehr still, anders als im Wald, wo ständig kleine Tiere im Unterholz geraschelt hatten und der Wind pfeifend durch die Blätter gefahren war. Abgesehen von meinen leisen Schritten auf dem Asphalt war die Welt lautlos, nur die Sterne leuchteten über mir, unzählige Lichter bis zum Horizont.
Also hörte ich das Dröhnen der Motoren schon sehr früh, wahrscheinlich waren sie da noch einige Meilen entfernt. Anfangs hielt ich es für Einbildung, aber dann blieb ich mitten auf der Straße stehen und beobachtete fasziniert, wie die Scheinwerfer auftauchten und der Motorenlärm lauter wurde.
Zwei kurze, schlanke Fahrzeuge glitten über die Hügel. Sie ähnelten weder Autos noch
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