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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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verbargen sich wahrscheinlich tonnenweise Vorräte, die nur darauf warteten, mitgenommen zu werden. Aber jetzt brauchte ich weder Lebensmittel noch Wasser noch sonst irgendetwas. Das Einzige, was ich brauchte, war auch das Einzige, was es hier nicht gab.
    Mit einem frustrierten Seufzen ging ich weiter.
    Hinter einem der Autowracks, aus dessen Motorhaube ein ganzer Baum hervorwuchs, hörte ich plötzlich ein Rascheln, gefolgt von einem leisen Wimmern. Das klang nicht nach einem Tier. Dieses Geräusch war menschlich.
    Ich zögerte. Der … Vorfall mit den Männern war jetzt vier Tage her. War ich noch immer eine Gefahr für Menschen? Oder hatte ich mich in Gegenwart potenzieller Beute unter Kontrolle? Vorerst schien der Hunger gestillt zu sein, zumindest hatte ich ihn im Griff, aber trotzdem würde ich sehr vorsichtig sein müssen.
    Wieder dieser klagende Laut. Da ich auf der Hut sein musste vor verseuchten Wildtieren, zog ich mein Schwert und schob mich langsam um das Autowrack herum, jederzeit bereit, auf alles einzuschlagen, was mich anspringen könnte. Doch als ich sah, was sich dort versteckte, entspannte ich mich. Das kleine, verängstigte Gesicht wich keuchend vor mir zurück. Die Augen waren weit aufgerissen und die Wangen nass von Tränen. Der Kleine war höchstens sechs Jahre alt, hatte dunkle Haare und war völlig verdreckt.
    Ein Kind? Was macht denn ein Kind hier draußen, ganz allein?
    Immer noch wachsam ließ ich mein Schwert sinken. Der Junge schniefte kurz, dann starrte er verheult, aber schweigend zu mir hoch. Ich suchte den kleinen Körper nach Verletzungen ab, Bisswunden oder Kratzer, aber da war nichts. Auch keine Blutspuren, allerdings war er völlig abgemagert, was da, wo ich herkam, jedoch dem Normalzustand entsprach. »W-wer bist du?«, schluchzte er und presste sich gegen den Baumstamm. »Ich kenne dich nicht. Du bist eine Fremde.«
    »Ist schon gut, ich werde dir nichts tun.« Ich steckte mein Schwert weg, kniete mich neben ihn und streckte ihm die Hand entgegen. »Wo wohnst du denn?«, fragte ich sanft. Unfassbar, dass jemand sein Kind nachts allein auf die Straße ließ. Wollten sie denn, dass er von Verseuchten gefressen wurde? »Wo sind deine Eltern?«
    »Ich … ich wohne nicht hier«, flüsterte er und bekam bei dem Versuch, die Tränen zu unterdrücken, prompt einen Schluckauf. »Ich habe keine Eltern mehr. Ich lebe bei den anderen, aber jetzt kann ich sie nicht mehr finden!«
    Das ergab wenig Sinn, und sein letzter Satz ging obendrein in einem Heulen unter, das an meinen Nerven zerrte. So kamen wir nicht weiter, und mit dem Gezeter würde er nur verseuchte Tiere anlocken – oder Schlimmeres. Mich ignorierten sie vielleicht, aber wenn sie das Kind entdeckten, bekamen wir ein Problem.
    »Schon okay«, sagte ich hastig, als sich der Kleine eine Faust in den Mund stopfte. »Alles ist gut, wir werden schon jemanden finden. Es gibt hier also noch andere Menschen? Hier in dieser Stadt?«
    Er nickte. »Sie suchen nach Essen und so Sachen«, berichtete er und zeigte mit seinem schmuddeligen Finger in eine willkürliche Richtung. »Da drüben, glaube ich. Ich musste Pipi machen, und als ich zurückkam, waren sie weg.«
    Dann waren sie also hoffentlich noch in der Nähe. Wer auch immer »sie« sein mochten. Wahrscheinlich irgendeine Tante oder andere Verwandte, da er ja keine Eltern mehr hatte. Die Unterlippe des Jungen begann erneut verdächtig zu zittern, also rieb ich mir kurz über die Augen und stand dann auf. »Wir werden sie schon finden«, verkündete ich. »Komm mit, bestimmt sind sie bereits auf der Suche nach dir.«
    Was? , meldete sich mein inneres Straßenkind fassungslos zu Wort. Was tust du denn da, Allison? Du kennst den Jungen doch gar nicht. Was kümmert es dich?
    Ich ignorierte den Protest. Was sollte ich denn anderes machen? Ganz sicher würde ich dieses Kind nicht allein hier draußen zurücklassen. Nicht einmal ich war so herzlos. Ich würde ihn bei seinen Verwandten oder seinem Vormund oder wem auch immer abgeben, und dann …
    Mich überlief ein unheilvoller Schauder. Wann würde ich wohl das nächste Mal auf Menschen stoßen? Wenn ich das Kind zu seinen Aufpassern zurückbrachte, waren die wahrscheinlich sehr erleichtert. Vielleicht luden sie mich sogar in ihr Haus ein, boten mir einen Schlafplatz für die Nacht an. Es wäre ganz einfach, ich müsste nur warten, bis sie schliefen, dann könnte ich mich anschleichen und …
    Entsetzt verdrängte ich den Gedanken. Aber was

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