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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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sollte ich denn tun? Ich war ein Vampir, und wenn ich den Hunger nicht unter Kontrolle hielt, würde ich mich wieder in diese fauchende, hirnlose Kreatur verwandeln, zu der ich wenige Nächte zuvor mutiert war. Wenn ich mich schon nähren musste, sollte es in Zukunft zu meinen Bedingungen ablaufen. »Also«, ich streckte dem Jungen die Hand entgegen, »kommst du nun mit, oder nicht?«
    Das kleine Gesicht hellte sich auf. Er rappelte sich auf, nahm meine Hand und klammerte sich daran fest, als wir uns auf den Weg machten. Während wir durch die dunklen Gassen liefen, vorbei an verfallenen Gebäuden und rostigen Autos, weinte er nicht mehr, nicht einmal ein leises Schniefen ließ er hören. Entweder brachte er vor lauter Angst keinen Ton heraus, oder er war es gewöhnt, sich mitten in der Nacht an unheimlichen, fremden Orten herumzutreiben.
    »Wie heißt du?«, fragte er schließlich, als wir auf einen anderen Gehweg wechselten und den Scherben einer umgestürzten Straßenlaterne auswichen. Er schien sich beruhigt zu haben, die Anwesenheit eines Erwachsenen gab ihm offenbar Sicherheit, auch wenn es eine Fremde war.
    »Allison«, antwortete ich leise, während ich gleichzeitig die schattigen Ecken nach verräterischen Bewegungen absuchte, seien sie nun menschlichen oder anderen Ursprungs. An einer Mauer stöberte ein grauer Fuchs im Schutt herum, riss plötzlich den Kopf hoch und verschwand im hohen Gras. Abgesehen davon rührte sich nichts.
    »Ich bin Caleb.«
    Ich nickte und wandte mich der nächsten Seitenstraße zu, die in eine Art Marktplatz mündete. Moosbewachsene Bänke rahmten einen leeren und halb verfallenen Springbrunnen ein. Als wir den Platz überquerten, vorbei an einem Pavillon mit eingestürztem Dach, raschelte unter unseren Füßen trockenes Laub.
    Plötzlich blieb ich stehen und hielt Caleb fest. In den Trümmern des Pavillons, der jetzt hinter uns lag, hörte ich einen leisen Herzschlag.
    »Warum gehen wir nicht weiter?«, flüsterte Caleb.
    »Umdrehen«, befahl eine Stimme hinter meinem Rücken – was eigentlich unmöglich sein sollte. »Schön langsam.«
    Ohne Calebs Hand loszulassen, wandte ich mich um.
    Wenige Meter von dem Pavillon entfernt stand ein Mensch. Er war einige Zentimeter größer als ich, schlank, mit blonden Haaren und stechend blauen Augen, die mich unablässig fixierten.
    Genau wie der Pistolenlauf, den er auf meinen Kopf richtete.
    »Zee!«, schrie Caleb und rannte los. Ich ließ ihn gehen, und sofort stürzte er sich auf den Fremden, der sich kurz bückte, den Kleinen auf den Arm nahm und sich dann wieder aufrichtete. Wobei er weder den Blick noch die Waffe von mir abwandte.
    »Hey, Hosenscheißer«, begrüßte er Caleb leise. »Du steckst ziemlich in der Tinte, kleiner Mann. Deine Schwester und ich haben überall nach dir gesucht.« Misstrauisch kniff er die Augen zusammen. »Wer ist denn deine neue Freundin?«
    »Caleb!«
    Der Schrei kam von einem schlanken, dunkelhaarigen Mädchen – ungefähr sechzehn –, das nun mit ausgebreiteten Armen auf uns zurannte. »Caleb! Oh Gott sei Dank! Du hast ihn gefunden!« Sie nahm Zee das Kind ab, drückte es kurz an sich und stellte es dann auf den Boden, bevor sie es mit einem bösen Blick bedachte. »Wo warst du denn? Du hast uns alle zu Tode erschreckt, du kannst doch nicht einfach so weglaufen! Tu das nie, nie wieder, hast du verstanden?«
    »Ruth«, unterbrach sie der blonde Junge leise, ohne mich aus den Augen zu lassen. »Wir haben Gesellschaft.«
    Ruckartig riss sie den Kopf hoch und wirkte erstaunt, als sie mich bemerkte. »Wer …?«
    »Das ist Allison«, verkündete Caleb und drehte sich strahlend zu mir um. Ich erwiderte sein Lächeln, konzentrierte mich aber weiter auf den Jungen mit der Waffe. »Sie hat mir geholfen, euch wiederzufinden.«
    »Tatsächlich?« Stirnrunzelnd schob sich der blonde Junge zwischen mich und seine Schützlinge. »Und was macht sie hier draußen? Warum wandert sie mitten in der Nacht ganz allein durch die Stadt?«
    »Das würde ich auch gerne wissen«, schaltete sich Ruth ein und warf mir über seine Schulter hinweg einen giftigen Blick zu. »Und was hattest du mit meinem Bruder vor?«, fügte sie in forderndem Tonfall hinzu. Sehr tapfer, wenn man sich dabei hinter einer Waffe verschanzt. »Wer bist du überhaupt?«
    Ich ignorierte sie, da der Junge ganz eindeutig derjenige war, den ich überzeugen musste. Er sah mich ruhig an, doch seinen blauen Augen entging nicht das Geringste. Bei genauerer

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