Tor der Daemmerung
nach meinem Gesicht und versuchte, mir den Ellbogen gegen die Wange zu rammen, aber ich zerrte ihn bereits hoch und versenkte meine Fänge in seinem Hals.
Die Beute wurde stocksteif, und sofort biss ich fester zu, durchstach die Vene und sorgte dafür, dass das Blut schneller floss. Mein Mund und meine Kehle wurden warm, nach und nach füllte sich mein Magen und dieser grässliche Druck, der mich so lange begleitet hatte, ließ nach. Mit einem wohligen Stöhnen zerfetzte ich ungeduldig das Gewebe, damit noch mehr Blut hervorquoll. All diese Kraft sog ich in mich auf. Die Schmerzen in meinem Bauch und meiner Schulter lösten sich auf, meine Wunden schlossen sich und der Hunger verging. Die Welt um mich herum verschwand, die Geräusche verstummten, all meine Empfindungen reduzierten sich auf den einen, perfekten Moment, in dem es nichts gab außer dieser Kraft.
Der Mensch unter mir gab ein ersticktes Wimmern von sich, und plötzlich wurde mir bewusst, was ich da gerade tat.
Zitternd ließ ich ihn los und starrte ihn an – diesen Mann, der für ein paar surreale Sekunden nichts anderes gewesen war als ein Stück Beute. Sein Hals war über und über mit Blut verschmiert; in meiner Gier hatte ich ihn nicht einfach gebissen – ich hatte seine Kehle zerfetzt. Sein Kragen war grellrot, aber aus der Wunde trat kein Blut aus. Vorsichtig rüttelte ich an seiner Schulter.
Sein Kopf rollte zur Seite und die Augen starrten blind geradeaus. Sie waren glasig und leer. Der Mann war tot.
Nein. Zitternd schlug ich die Hände vor den Mund, kurz davor, mich zu übergeben. Es war genauso gekommen, wie Kanin es prophezeit hatte. Ich hatte jemanden getötet. Ich hatte einen Menschen umgebracht. Sobald ich sein Blut geschmeckt hatte, war der Dämon übermächtig geworden und ich hatte den Verstand verloren. Mein Hunger war außer Kontrolle geraten. Und während dieser wenigen, wahnhaften Sekunden, als das Blut heiß in meinen Mund und durch meine Adern geflossen war, hatte ich jeden Moment genossen.
»Oh Gott«, flüsterte ich und starrte fassungslos auf den Körper, die Leiche, die noch vor wenigen Minuten ein atmender, lebender Mensch gewesen war. Ich hatte ihn getötet. Ich hatte ihn getötet . Was sollte ich jetzt tun?
Ein gequältes Stöhnen riss mich aus meinen Gedanken. Ängstlich blickte ich zu der Stelle, wo der andere Mann auf dem Asphalt lag und benommen in den Himmel starrte. Sein flacher Atem wurde zu einem panischen Keuchen, als ich aufstand und zu ihm hinüberging. Mit weit aufgerissenen Augen sah er zu mir hoch.
»Du!«, röchelte er. Ein Zucken der Beine verriet, dass er wohl aufzustehen versuchte. Aus seiner Brust sickerte Blut. Dort hatte ihn eine der Kugeln getroffen, die eigentlich für mich bestimmt gewesen war. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, das konnte sogar ich erkennen. Aber ihm schien das nicht bewusst zu sein. »Wusste nicht … dass du ein Vampir bist.«
Der Mann würgte und das Blut aus seinem Mund tropfte auf die Straße. Sein glasiger Blick durchbohrte mich wie ein Messer. »Es tut mir leid«, flüsterte ich, da ich nicht wusste, was ich sonst hätte sagen sollen. Aber das schien ihm endgültig den Rest zu geben, denn er fing an zu lachen.
»Es tut ihr leid«, kicherte er, während sein Kopf schlaff auf die Seite sank. »Die Vampirin bringt meinen Kumpel um und dann sagt sie, es tut ihr leid.« Er brach in hysterisches Gelächter aus und erstickte dabei fast an seinem eigenen Blut. »Das ist … ein Witz, oder?«, flüsterte er. Seine Augen verdrehten sich. »Ein Vampirwitz? Jackal hätte sich … kaputtgelacht …«
Und dann rührte er sich nicht mehr.
Vielleicht wäre ich einfach dort im kalten Gras sitzen geblieben, mit dem Geruch von Blut in Mund und Nase, aber der Himmel hinter den Hügeln verfärbte sich bereits und meine innere Uhr warnte mich, dass der Sonnenaufgang nicht mehr weit war. Einen Moment lang fragte ich mich, wie es wohl sein würde, wenn ich einfach an der Oberfläche blieb. Der Sonne begegnete, wie Kanin es einmal genannt hatte. Würde sie mich zu Asche verbrennen? Würde es sehr lange dauern, sehr schmerzhaft werden? Und was kam wohl danach? Ich war nie sonderlich religiös gewesen, aber ich hatte immer daran geglaubt, dass Vampire keine Seele hätten, und niemand wusste, was mit ihnen geschah, wenn sie irgendwann diese Welt verließen. Es schien absolut ausgeschlossen, dass ein Monster und Dämon wie ich je eine Chance auf den Himmel, die Ewigkeit oder sonst etwas haben
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