Tor der Daemmerung
Panik, wenn du mitten in der Nacht unter dem Zelt begraben wirst. Man gewöhnt sich dran. Niemand kümmert sich hier groß darum, ob etwas lange genug steht, und … Wow, das klang schräg.« Wieder lief er rot an, noch heftiger als beim ersten Mal, und auch jetzt fuhr er sich mit einer schnellen Geste durch die Haare. »Äh … ja. Ich sollte … ich bin dann mal weg.«
Mit einer verlegenen Grimasse stand er auf. Ich wartete, bis er sich einige Schritte entfernt hatte, und drückte mir dann die neue Decke ins Gesicht, damit er mein Lachen nicht hörte.
Ich zog den Reißverschluss vom Zelteingang zu und sah mich in meinem neuen Unterschlupf um. Mir gefiel überhaupt nicht, wie instabil das Ganze war und wie leicht man hier eindringen konnte. Außerdem war ich nicht sicher, ob der dünne Stoff das Tageslicht komplett abhalten konnte, wenn die Sonne erst einmal am Himmel stand. Würde ich aufwachen, bevor ich in Flammen aufging? Oder würde ich diese Welt stillschweigend verlassen, während mein Körper zu Asche zerfiel? Ich hatte keine Ahnung, aber auch keinerlei Ambitionen, das herauszufinden.
Also holte ich mein Taschenmesser hervor und machte einen langen Schlitz in den Zeltboden, bis der grasbewachsene Erdboden zum Vorschein kam. Wenigstens hatte ich jetzt einen Ausweg, falls die Sonne in das mickrige Zelt drang. Oder falls etwas Unvorhergesehenes passierte und ich schnell abhauen musste. Halte dir immer einen Fluchtweg offen, lautete eine der wichtigsten Regeln im Saum. Und so freundlich und bescheiden diese Menschen auch wirken mochten, man konnte nie vorsichtig genug sein. Insbesondere bei Leuten wie Jebbadiah Crosse. Und Ruth.
Ich legte mich hin und zog mir die Decke über den Kopf. Hoffentlich störte niemand meinen Schlaf. Während mich die Dunkelheit einhüllte und meine Gedanken immer träger wurden, erkannte ich zwei Dinge: Erstens würde ich nicht ewig so weitermachen können und zweitens war Ezekiel Crosse viel zu perfekt, um in dieser Welt sonderlich lange zu überleben.
In der ersten Woche kam ich einige Male nur knapp mit heiler Haut davon.
Gott sei Dank ging ich trotz des windigen Zelts nicht im Schlaf in Flammen auf, allerdings war mir beim Aufwachen unangenehm warm, und ich wünschte mir, mich einfach vor der Sonne verstecken und in der kühlen Erde eingraben zu können. Was das Problem mit dem Wachdienst anging, so besprach ich das in der zweiten Nacht mit Zeke und überredete ihn, mich immer die erste Wache machen zu lassen. Das bedeutete allerdings, dass ich in der Morgendämmerung noch einige Stunden wach bleiben musste, was anfangs die reinste Qual war. Mein langer Mantel schützte mich ganz gut vor den ersten Sonnenstrahlen, und indem ich so oft wie möglich im Schatten blieb und mich nie der aufgehenden Sonne zuwandte, überlebte ich das auch. Doch es war ein wahrer Kraftakt, mich wach zu halten, während meine Vampirinstinkte mir befahlen, mich vor dem Licht zu verbergen und zu schlafen. Irgendwann fing ich an, es als eine Übung zu sehen, wie Kanin sie mir hätte auferlegen können – um mein Durchhaltevermögen zu stärken, meine Wachzeiten zu verlängern und so lange ich konnte, aktiv zu bleiben.
Meine menschlichen Begleiter waren ein ganz anderes Thema. Ruths Stutenbissigkeit ging mir gehörig auf die Nerven, sie erdolchte mich mit Blicken, sobald ich Zeke auch nur ansah. Und Jeb behandelte mich natürlich mit derselben schroffen Unnahbarkeit wie jeden anderen auch. Aber abgesehen davon war die Gruppe ganz nett. Wenn sie nur nicht gleichzeitig ein sehr neugieriger Haufen gewesen wären und mich nicht ständig über die Stadt, das Leben dort und meine Flucht ausgefragt hätten. Ich antwortete so vage wie möglich und konnte zumindest die Erwachsenen irgendwann davon überzeugen, dass es einfach zu schmerzhaft war, mich weiter an dieses Leben erinnern zu müssen. Zu meiner Erleichterung hatte die Fragerei damit endlich ein Ende und man ging von da an sehr verständnisvoll, ja fast mitleidig mit mir um. Das konnte mir nur recht sein. Sollten sie ruhig glauben, das Leben in New Covington habe furchtbare Narben hinterlassen; dadurch wurde es umso einfacher, den wahren Grund dafür zu verbergen, dass ich mich jedes Mal unwohl fühlte, wenn das Wort Vampir erwähnt wurde.
Leider war das nicht mein einziges Problem.
Das Essen – oder vielmehr meine Abstinenz davon – war noch so eine Hürde. Die Gruppe nahm zwei Mahlzeiten pro Nacht ein: die erste nach dem Aufwachen und dann noch
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