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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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geduldig im Umgang mit den Kindern. Oft fragte ich mich, wie er und Jeb so unterschiedlich sein konnten. Aber vielleicht konnte Jeb auch nur wegen Zeke so sein. Es schien unfair, Zeke eine solche Verantwortung aufzubürden, nur weil Jeb selbst nicht damit behelligt werden wollte. Aber welches Recht hatte ich schon, mir ein Urteil zu erlauben?
    Eines Nachts, nachdem wir etwas früher als sonst das Lager aufgeschlagen hatten, schlenderte ich zum Feuer hinüber und stieß dort auf Zeke, der dicht bei den Flammen saß und Bethany und Caleb etwas vorlas . Das war ein Schock für mich. Fassungslos schlich ich näher heran – es war kaum zu glauben! Aber es war eindeutig, seine gedämpfte, weiche Stimme. Die beiden Kinder kauerten rechts und links, während Zeke aus dem großen schwarzen Buch auf seinem Schoß vortrug.
    »Da reckte Mose seine Hand aus über das Meer«, las er leise, »und das Meer kam wieder vor morgens in seinen Strom, und die Ägypter flohen ihm entgegen. Also stürzte sie der Herr mitten ins Meer, dass das Wasser wiederkam und bedeckte Wagen und Reiter und alle Macht des Pharao, die ihnen nachgefolgt waren ins Meer, dass nicht einer aus ihnen übrig blieb. Aber die Kinder Israel gingen trocken mitten durchs Meer; und das Wasser war ihnen für Mauern zur Rechten und zur Linken. Also half der Herr Israel an dem Tage von der Ägypter Hand. Und sie sahen dieÄgypter tot am Ufer des Meeres und die große Hand, die der Herr an den Ägyptern erzeigt hatte. Und das Volk fürchtete den Herrn, und sie glaubten ihm und seinem Knecht Mose.«
    In meiner Kehle bildete sich ein bitterer Klumpen. Vor meinem inneren Auge sah ich mich und Stick, wie wir uns in meinem kalten Zimmer aneinanderschmiegten, zwischen uns ein aufgeschlagenes Buch. Zeke blickte nicht auf und bemerkte mich gar nicht. Ich lauschte auf seine leise, ruhige Stimme und beobachtete, wie Caleb und Bethany an seinen Lippen hingen. Ein seltsames Gefühl der Sehnsucht erwachte in mir.
    »Ezekiel!«
    Jebbadiahs Stimme hallte durch das Lager, Zeke hob den Kopf, und als er sah, dass der alte Mann einige Meter entfernt auf ihn wartete, klappte er das Buch zu und legte es Caleb in die ausgestreckten Arme. »Halte das mal kurz«, murmelte er und strubbelte dem Jungen durch die Haare. »Ich bin gleich wieder da.«
    Sobald Zeke gegangen war, trieb meine Neugier mich weiter voran. Ich wollte das Buch sehen, wollte es anfassen und den Titel lesen. Bethany machte bei meinem Anblick große Augen, hastig sprang sie hoch und rannte hinter Zeke her. Caleb blieb allein am Feuer zurück, mit einem Vampir, der drohend über ihm aufragte.
    Verwirrt sah Caleb sich um, dann entdeckte er mich und lächelte. »Hi, Allie!«, begrüßte er mich, als ich neben ihm auftauchte. »Wenn du Zeke suchst, der ist gerade weg. Aber er kommt gleich wieder.«
    »Darf ich das mal sehen?« Ich zeigte auf den ledergebundenen Wälzer in seinen Armen. Caleb zögerte.
    »Das ist Zekes Buch«, erklärte er unsicher und drückte es an sich. »Er hat gesagt, ich soll drauf aufpassen.«
    »Ich werde es nicht kaputtmachen«, versprach ich und kniete mich in das kühle Gras. »Bitte?«
    Einen Moment überlegte er noch, dann strahlte er mich an.
    »Okay, aber nur, wenn du mir was vorliest.«
    »Ich …« In meinem Inneren sträubte sich etwas, zu frisch war die Erinnerung an all die Lehrstunden mit Stick, der es mir mit dem sprichwörtlichen Dolch im Rücken gedankt hatte. Aber ich war neugierig, und wenn ich nur so einen Blick in das Buch werfen konnte, ohne es Caleb mit Gewalt abzunehmen … »Also schön«, gab ich nach, woraufhin Caleb fröhlich grinste.
    Er reichte mir das Objekt der Begierde, rutschte näher heran, stützte sich auf mein Bein und spitzte gespannt die Ohren. Ich machte es mir bequem und musterte den schönen Ledereinband – das erste richtige Buch, das ich seit meiner Flucht aus New Covington zu Gesicht bekam. Es hatte keinen Titel, auf dem Einband prangte nur ein goldenes Kreuz, ganz ähnlich wie der Schmuck an Zekes Halskette. Ich drehte es auf den Rücken und bewunderte den glänzenden Goldschnitt der Seiten.
    »Lies etwas, Allie«, drängte Caleb und hopste unruhig auf und ab.
    Ich verdrehte die Augen. Das Papier raschelte leise, als ich das Buch aufschlug und zu der Stelle vorblätterte, die mit einem Band markiert war. Ich konnte genauso gut hier beginnen wie an jeder anderen Stelle auch.
    Ich las sehr langsam, denn die Buchstaben waren winzig und seltsam verschnörkelt, eine

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