Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Faustpfand für Velasco. Oder jubelte man ihr und ihrem Begleiter zu? Feuerten die Leute sie an, damit sie dem Teufel und seinem Handlanger zuletzt doch ein Schnippchen schlugen?
»Platz da!«, schrie Lucian. Ein junges Mädchen warf sich zur Seite, brachte sich hastig vor den fliegenden Hufen in Sicherheit. »Fort mit euch!«
Eine Gasse öffnete sich vor ihnen, gesäumt von schreienden Schaulustigen, Karren, Sänften und an den Leinen zerrenden Hunden. Und sie jagten mitten hindurch.
Der Gegenwind ließ Ravennas Augen tränen. Die Stute raste an einer verschwommenen Masse aus Gesichtern, Fäusten, in die Luft gewirbelten Hüten und flehend ausgestreckten Händen vorbei. Überall baumelten regennasse Banner über den Köpfen der Menschen. Reiter schlossen sich ihnen an, hielten das halsbrecherische Tempo ein Stück und fielen dann wieder zurück.
»Ravenna! Ravenna! Wo steht das Gralsschloss?«, brüllte man ihr entgegen. »Wo finden wir den magischen Gral?«
»Woher soll ich denn das wissen?«, schrie sie zurück und trieb Willow an. »Geht nach Hause! Beliar hat euch angelogen.«
Aber die Leute wollten nicht hören. Sie klammerten sich an eine unerfüllbare Hoffnung, an eine Legende. An die Vorstellung, dass sie den magischen Gral finden würde. Sie schluckte und duckte sich unter dem peitschenden Regen. Als ein gerades Wegstück vor ihr lag, schaute sie zu ihren Begleitern zurück.
Thierry und Claude waren noch immer hinter ihnen, in ziemlich großem Abstand zwar, aber die beiden Dokumentarfilmer ließen sich diesmal nicht abhängen. Sie krallten die Hände in den Sattelriemen, die Beine steif in die Steigbügel gestemmt. Die Zügel hingen lose in den wehenden Mähnen der Pferde. Doch der Rappe und der zottige Falbe wussten auch ohne Führung, dass sie zu den beiden Hexenschimmeln gehörten. Die braune Stute, die das Gepäck der Filmcrew trug, lief jedoch um ihr Leben. Sie blähte die Nüstern, Bauch und Beine bedeckt mit Schweiß, der unter dem Brustgurt schäumte. Es war kaum zu übersehen, dass das Tier nicht mehr lange durchhielt.
Ein Aufschrei erklang, und Ravenna blickte wieder nach vorn. Eine Reitergruppe näherte sich von der Seite, Männer auf stämmigen Gebirgspferden. Sie galoppierten durch den Fluss, der neben der Straße floss. Zweifellos waren das die Kopfgeldjäger, die Lucian entdeckt hatte. Die Fremden waren bewaffnet und legten es offensichtlich auf einen Zusammenstoß an.
»Los! Schneller!«, schrie Ravenna. Sie feuerte die Stute an, bis Willow Seite an Seite mit dem Schimmelhengst rannte.
Lucian ließ das zerbrochene Schwert in der Scheide stecken. Die gesunde Hand führte die Zügel, seine Augen waren auf die Gegner gerichtet. Die Anspannung in seinem Körper verriet, dass er nur eines im Sinn hatte: schneller zu sein als die Banditen.
Auch die Kopfgeldjäger zogen ihre Waffen nicht. Offenbar wollte man sie lebend fangen.
Diese Männer hatten nichts mit Rittern und höfischen Sitten gemein. Sie hatten Bärte und trugen zottige Felle, lose über die Schulter geworfen. Ihre Füße steckten in Stiefeln, die mit Lederriemen um ihre Unterschenkel geschnürt waren, und an ihren Sätteln hingen Seile, Äxte und Bogen aus geschwungenem Schafshorn.
Ravenna presste Willow die Fersen in die Weichen. Von diesen Gegnern hatten sie keine Gnade zu erwarten.
Zwei oder drei Galoppsprünge, dann waren die Banditen so nah, dass sie schon die Atemstöße der fremden Pferde spüren konnten. Keuchend warf Ravenna sich nach vorn, lehnte sich weit über den Hals der Schimmelstute.
»Læganier!« , schrie sie. Fast streiften ihre Finger die weichen, grauen Nüstern des vordersten Tieres.
Das Pferd des Angreifers schnaubte überrascht. Dann knickten seine Vorderbeine ein, es stolperte und stürzte. Der Reiter fluchte. Hastig zog er die Füße aus den Steigbügeln, um nicht unter das stürzende Tier zu geraten. Rings um ihn kamen weitere Pferde zu Fall, rissen die Reiter mit sich. Ein Mann sprang strauchelnd auf die Füße und griff nach seinem Bogen, aber da wurde er von den Pilgern überwältigt und niedergerungen. Als Ravenna sah, wie hart die Leute zuschlugen, wandte sie sich erschrocken ab.
»Weiter, Ravenna! Vorwärts!«, rief Lucian ihr zu. »Schau nicht zurück.«
»Die Leute werden diesen Mann töten«, keuchte sie. »Ihn und seine Begleiter.«
Lucian nickte grimmig. »Er hat es nicht anders verdient. Diese Kerle sind Schmuggler und Wegelagerer. Sie haben in diesen Bergen viel Schaden
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