Tore der Zeit: Roman (German Edition)
Lucian. »Auf dieser Straße könnten wir keine besseren Gefährten finden.«
Ravenna drängte sich an den Filmemachern vorbei und begrüßte den einäugigen Ritter. »Ramon! Ah, und da sind Norani und die anderen!«, stieß sie nach einem Blick zur Straße hervor. »Und der Reiter auf dem großen Apfelschimmel … ist das Constantin? Jemand muss ihn warnen. Diese Straße ist nicht sicher.«
»Schon geschehen«, sagte die schwarzhaarige Hexe, die nun ihr Pferd vor dem Turm zügelte. Tatsächlich wendeten einige der Reiter und galoppierten zur Straße zurück. Der schützende Kreis um den König wurde enger, Schwerter blitzten in der Sonne. Zwei Knappen fingen Lucians Hengst ein, der am Rand des Kohlemeilers graste. Sie brachten das Pferd hinter die Scheune, um Ghost und die anderen Tiere zu satteln.
Ramons Gefährtin stieg ab und trat an die Gittertür. »Lange nicht gesehen, Lucian«, murmelte sie und richtete die grünen, katzenartigen Augen auf ihn. Ihre Haut war glatt und dunkel, die Haut einer Wüstenbewohnerin. Behutsam legte sie beide Hände um den Riegel. »Wie war die Reise?«
»Weit«, sagte er nur und lachte.
Aber es war ein atemloses Lachen, denn der Zustand seiner Freunde entging ihm nicht. Auch Noranis Mantel war staubig und an den Rändern ausgefranst, ihr Pferd ließ den Kopf hängen. Das war nicht die Runde, die er vor wenigen Monaten verlassen hatte – die stolzen Sieben. Die Hexen und ihre Ritter wirkten erschöpft. Offenbar waren sie seit Langem auf der Flucht.
»Was ist geschehen?«, fragte er. Aus Furcht verkrampfte sich sein Magen. »Wer ist hinter euch her?«
»Wölfe«, knurrte Ramon. Er spuckte auf den Boden. »Skavenger. Und die Soldaten deines Vaters. Du erzählst uns also nichts Neues, wenn du uns vor Velasco warnst. Wirklich bedauerlich, dass er nach Carcassonne zurückgekehrt ist. Ich wünschte, der Hexer würde stattdessen in der tiefsten Hölle schmoren. Mit Verlaub, Lucian.«
Dieser nickte nur und schloss die Finger um das Gitter, das ihn und seine Hexe von der Freiheit trennte. Noranis Wirken sirrte im Stahl, ein Schmerz, der sich bis in seine Kiefergelenke fortsetzte.
Ramon und die schwarzhaarige Hexe hüteten das Siegel des Todes. Es hieß, die bloße Berührung einer solchen Zauberin konnte töten. Als Lucian sah, wie sich das Gitter auflöste, glaubte er das gerne. Unter Noranis Fingern begann der Riegel zu rosten. Blasen bildeten sich auf dem Metall, und eine rötliche Masse tropfte zu Boden. Trotzdem schien es eine Ewigkeit zu dauern, ehe der Bolzen Spiel hatte.
»Wieso reitet ihr auf dieser Straße? Warum seid ihr nicht im Konvent geblieben?«, fragte er. »Dort wärt ihr in Sicherheit.«
Ramon antwortete nicht sofort. Erst winkte er die Knappen herbei und befahl ihnen, die gesattelten Pferde zum Eingang der Schmiede zu führen. Dann klatschte er sich mit dem Handschuh auf den verwundeten Oberschenkel, eine ungeduldige, wütende Geste.
»Du willst wissen, was geschehen ist? Der Konvent auf dem Hexenberg existiert nicht länger. Die Gebäude – ausgebrannt. Die Stallungen – leer. Die Burg am Fuß des Berges – verwüstet. Und unser Ansehen bei den Menschen, die keine Gabe besitzen – dahin. Es gelang uns mit knapper Not, die Hexenschülerinnen zu ihren Familien zurückzuschicken und für eine sichere Abreise zu sorgen. Dann mussten wir fliehen. Velasco hatte eine ganze Armee von Schwarzmagiern auf die Beine gestellt. Doch nicht etwa, um uns aus unserer Heimat zu verjagen, o nein! Dein Vater stellte es viel raffinierter an: Er brachte die Menschen dazu, Magie zu verabscheuen. Er sorgte dafür, dass die Leute keiner Hexe und keinem Magier mehr vertrauen. Landauf, landab sind wir gefürchtet. Die meisten Menschen hassen uns.«
»Genau wie mich«, stieß Ravenna hervor. »Zumindest hier, in dieser Zeit. Die Weiße Hexe – so nennen sie mich. Aber gestern, auf der Straße, da gab es auch welche, die mir Glück wünschten.«
»Glück? Ja, Glück wirst du auch brauchen.« Ramons Lachen klang hart. »Wir haben den Winter in den Bergen verbracht, als Geächtete im Schatten von Velascos Burg. Das Gerücht von dieser Wette macht schon eine ganze Weile die Runde. Ein Wettlauf mit Tod und Teufel, wie? Leider konnten wir uns der Schmiede gestern Nacht nicht nähern – nicht solange so viele Leute im Hof unterwegs waren. Mein Kompliment, Lucian. Du hast dir keine zweitklassigen Feinde ausgesucht.«
»Ich habe mir gar nichts ausgesucht«, stieß Lucian hervor und
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