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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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Turm der Schmiede befreit und waren mit ihr und Lucian durch die Berge geritten. Und nun mieden die Sieben sie, als hätte sie die Beulenpest.
    Sie musste am Ende der Gruppe reiten. Niemand drehte sich nach ihr um, nicht einmal Lucian. Dabei hätte sie seine Scheinheiligkeit mit einem Wort entlarven können.
    Es war seine Gabe, die sie genutzt hatte, sein schwarzmagisches Talent. Sie hatte gemerkt, was er vorhatte. Hatte die Geste gesehen, die er mit den Händen formte, als Cezlav auf ihn zuritt. Dieselbe Handbewegung hatte die Aaswölfe verscheucht.
    Doch die Sieben würden unter keinen Umständen billigen, dass ihr Ritter schwarze Magie anwendete – nicht einmal, wenn seine Tat Leben rettete. Deshalb hatte sie zum Äußersten gegriffen und einen Fluch gewirkt, der Männer wie Pferde gleichermaßen zu Boden warf.
    Sie musste auf jeden Fall verhindern, dass Lucians dunkles Geheimnis ans Licht kam. Außer ihr war er der Einzige, der die Welten zu beiden Seiten der Tore kannte. Sie brauchte ihn. Doch er hatte einen Schwur geleistet, war durch das Gesetz des Königs dazu verpflichtet, Hexer und Schwarzkünstler bis aufs Blut zu bekämpfen. Die Sieben würden ihm keinesfalls verzeihen, wenn er seine Gabe einsetzte.
    Sie starrte auf die auf- und abwogenden Rücken vor ihr, auf die gesenkten Köpfe, die mit grauen Kapuzen verhüllt waren, und fragte sich, in was für einen Albtraum sie da hineingeraten war. Dass Beliar sich köstlich amüsierte, indem er sie wie einen dressierten Hamster durch einen Irrgarten rennen ließ, immer auf der Suche nach dem richtigen Knopf, auf den sie drücken musste – das war ihr egal. Dass Velasco zudem auch noch eine lebensgefährliche Hatz durch die Berge veranstaltete – daran konnte sie kaum etwas ändern. Aber dass die Sieben sie ignorierten – das tat weh.
    Schließlich hatte sie einiges riskiert, um den Zirkel der Hexen gegen die Angreifer zu verteidigen. Der Fluch hinterließ einen Kupfergeschmack in ihrem Mund. Sie fühlte sich blutleer, als hätte ihr jemand das Mark aus den Knochen gesaugt. So ergeht es einer Hexe also, wenn sie Schwarzkunst wirkt, dachte sie. Keine schöne Empfindung. Und das – o Himmel! – tat Yvonne jeden Tag, mit einem Baby im Bauch.
    Ravenna trieb die Stute an und versuchte, die Reiter vor sich zu überholen. Sie musste mit Nevere sprechen. Sie brauchte dringend den Rat der Heilerin. Das schmerzverzerrte Gesicht ihrer Schwester, die gekrümmte Haltung, in der Yvonne aus der Schmiede geflohen war, gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.
    Die Reiter vor ihr drehten sich um. Es waren die Ritter Darlach und Terrell. Ihre Gesichter waren düster, die Hände lagen auf den Waffen.
    »Was?«, fauchte Ravenna. »Was ist? Warum schaut ihr mich so an?«
    »Reitet langsamer«, sagte Darlach nur. Der freundliche Gefährte der Maikönigin wirkte an diesem Vormittag alles andere als umgänglich. »Ihr dürft uns nicht überholen. Bleibt zurück!«
    Mit einem gereizten Seufzen sank Ravenna tiefer in den Sattel. Sofort entspannte sich auch Willow und fiel wieder in einen langsameren Trott. Ärgerlich nagte Ravenna an der Hornhaut ihres Zeigefingers – eine schlechte Angewohnheit, der sie nicht mehr nachgegangen war, seit sie zwölf war. Während die Reiter den Wald hinter sich ließen und sich die Straße den kahlen Pass hinaufwand, hob sie nicht ein einziges Mal den Kopf.
    Was sollte jetzt aus ihnen werden? Sie wusste nicht einmal genau, wen sie damit meinte. Sich. Sich selbst und Lucian, obwohl sie die Chancen zusehends schwinden sah, dass ihre Beziehung dieses Durcheinander heil überstand. Yvonne. Natürlich – sie sorgte sich um ihre Schwester und um das Kind. Die Sieben. Und all die Närrinnen und Narren, die in der Nacht dieselbe Überquerung gemacht hatten, auf der Suche nach – was ? Erlösung? Magischer Macht? Einem Tor?
    Sie schauderte unter dem weißen Pelzmantel, obwohl der Umhang in der Sonne viel zu warm war. Langsam ließ sie die Zügel aus der Hand gleiten, fuhr sich mit den Fingern ins Haar und presste die Handballen auf die Schläfen. Denn plötzlich erkannte sie, was mit ihr geschah.
    Ich fühle mich genau wie Yvonne!, dachte sie verzweifelt. So musste ihrer kleinen Schwester zumute gewesen sein, als Lucian sie in den Konvent schleppte und dort in den Gerichtssaal der Hexen. Zweifel, selbstgerechter Zorn und Angst, vor allem Angst – diese ungesunde Mischung brodelte jetzt auch in ihr.
    Damals hatte sie ihre Schwester nicht verstehen können. Sie

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