Tore der Zeit: Roman (German Edition)
eines im Klaren sein. Du wirst an Elinor gebunden sein. In Zukunft bist du für Elinors Taten mitverantwortlich. Schwestern im Geiste, wie es so schön heißt. Schwestern in einem Zirkel. Du weißt, dass sie Beliar einmal beschworen hat, nicht wahr? Ihr haben wir es zu verdanken, dass er so stark ist.«
Ravenna zog den Kopf ein. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie sollte sie Elinors schwarze Gabe im Zaum halten können? Ausgerechnet sie, die kaum Ahnung hatte von Schadensmagie und Fluchzauber. Andererseits … die Hexe vom Hœnkungsberg und sie waren bereits durch einen mit Blut besiegelten Pakt aneinander gebunden.
»Ich …«, fing sie an.
In diesem Augenblick packte der Rabe ihren Ohrring und zerrte daran. Es tat weh. Mit einer heftigen Armbewegung scheuchte Ravenna den Vogel fort. Krächzend flatterte er auf und ließ sich auf einer der Zinnen nieder. Sein Gefieder glänzte wie Schnee.
»Ich weiß, was ich tue«, beendete sie ihren Satz. »Ich möchte, dass du Elinor eine zweite Chance gibst. Auch wenn sie … selbst wenn sie … wenn sie in unserer Nähe ist, werden wir schneller merken, was sie tut. Denkst du nicht auch?«
Morrigan musterte sie. Schließlich lächelte sie. »O doch, Ravenna«, sagte sie, während sie den Stab nahm und zur Treppe der Tribüne schritt. »Genau das denke ich.«
Ravenna hörte nicht mehr, was zwischen den beiden Hexen gesprochen wurde. Lucian und Ramon, die die fremden Grafen und Edelfrauen zu ihren Plätzen geführt hatten, kamen zu ihr auf das Podest.
»Geschafft«, ächzte Ramon. »Die Versöhnung der Aufständischen war der heikelste Teil dieses Morgens. Was bin ich froh, dass das vorbei ist.« Der einäugige Ritter atmete erleichtert auf und lockerte die Schultern.
Lucian schlang die Arme um Ravenna und küsste sie auf den Nacken. »Warum kommst du nicht zu uns an den Tisch? Bist du denn nicht hungrig? Ich für meinen Teil könnte einen ganzen Ochsen essen.«
Energisch befreite sie sich aus seiner Umarmung. »Euch beiden darf man wirklich nicht über den Weg trauen«, murrte sie. »Ein Einäugiger und ein Schlitzohr, die am selben Tag König werden.«
Ramon und Lucian lachten.
»Wie kommst du auf Lamar? Wieso ausgerechnet dieser Name?«, wollte Ravenna wissen, während sie zur Treppe gingen. »Und woher wusstest du, dass es funktionieren und Ferran de Barca sich besänftigen lassen wird?«
»Er wusste es nicht«, warf Ramon ein. »Aber dein Ritter ist ein Spieler, Ravenna, und manchmal muss man alles auf eine Karte setzen. Gerade du solltest das wissen.«
»Sehr komisch«, murmelte sie. Und wiederholte: »Lamar. Es ist ja nicht so, dass mir der Name nicht gefällt. Ich dachte nur … ich dachte, du würdest es mir sagen. Vorher, meine ich.«
»Yvonne hat den Namen vorgeschlagen«, erklärte Lucian. Er fasste sie am Ellenbogen und führte sie zu Tisch. »Offenbar hat sich deine Schwester eingehend mit der Geschichte der Provinzen und Grafschaften im Reich der Sieben befasst, als sie hier im Schloss lebte. Der Name Lamar hat im Hause de Barca eine lange Tradition.«
Ravenna blieb stehen. Sie schaute zu Yvonne hinüber, die bereits an der Festtafel Platz genommen hatte. Lucian und ihre Schwester trafen Vereinbarungen, ohne dass sie etwas davon erfuhr? Sie spürte Verärgerung aufsteigen. Dann schüttelte sie den Kopf.
Die Eltern des kleinen Lamar trafen Vereinbarungen, die niemand anderen etwas angingen. Nicht einmal sie. Daran würde sie sich erst noch gewöhnen müssen. Aber es war richtig so – schließlich trugen nun beide die Verantwortung für den kleinen Jungen.
Lucian legte ihr den Arm um die Schultern. »Ravenna«, seufzte er. »Wann wirst du dich endlich setzen und aufhören, dir Sorgen zu machen. Die Königswahl ist gelungen, die Sonne scheint, der Wein fließt in Strömen – glaubst du denn wirklich, wir hätten so einen Tag nicht auch einmal verdient?«
»Sieben«, ließ Ramon sich da vernehmen. Er saß bereits am Tisch und füllte ihre Becher. »Ich gedenke von jetzt an sieben Tage lang zu feiern und keinen einzigen davon nüchtern zu werden. So wie es Constantin gehalten hat, als er die Krone bekam. Hoch die Becher!«
Die letzten Worte brüllte er den Tisch entlang und erhielt begeisterten Zuspruch.
Seufzend nahm Ravenna an der Tafel Platz. Sie schaute noch einmal zu Yvonne. Lamar schlief in einem Körbchen neben ihrer Schwester. Angeregt unterhielt sie sich mit Ellis und einer fülligen Hexe mit dunklen Locken, deren Namen Ravenna nicht
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