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Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Tore der Zeit: Roman (German Edition)

Titel: Tore der Zeit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lea Nicolai
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schlitterte.
    Mit einer Hand schnappte sich Ravenna den Koffer, mit der anderen griff sie eine der Flaschen, die auf dem Tisch standen, und leerte den Inhalt über dem Sektkühler aus. Diesmal war es ein edler Blanc de Noir, der im Kübel verdampfte, die Flasche zu zweihundert Euro. Trotzdem war der Behälter noch immer glühend heiß, als sie hineingriff. Ihr Siegel war jedoch so kalt, als habe es die ganze Zeit über auf Eis gelegen. Es beschlug, als sie es überstreifte.
    »Spring!«, schrie sie Lucian zu, während sie auf die Balkontür zurannte. »Los doch, reiß das Fenster auf und spring!«
    Cezlav blutete aus dem Mund. Er heulte wie ein Irrer und suchte seine Zungenspitze, die irgendwo auf dem Boden liegen musste, zwischen den herumtrampelnden Füßen seiner Freunde. Einer der russischen Spieler hob den Revolver auf und drückte ab. Doch entweder verstand er sich nicht aufs Zielen oder er zitterte vor Aufregung. Die Kugel traf nur ein Fenster.
    Lucian riss den Arm vors Gesicht, um sich vor den umherfliegenden Splittern zu schützen. Dann zerschmetterte er die restliche Scheibe mit dem Ellenbogen und half Ravenna, auf den Balkon und anschließend auf das Geländer zu klettern.
    Ohne Vorwarnung fing sie zu wackeln an und ruderte mit den Armen. War das hoch! Unten auf der Straße schrie eine Fußgängerin auf, ließ ihre Einkäufe fallen und zeigte auf sie. Der Kameramann hob sein Gerät und drückte hektisch auf den Aufnahmeknopf.
    Dann tauchte Lucian neben Ravenna auf und fasste sie an der Hand. »Spring!«, schrie er.
    Und sie sprangen. Eine unwirkliche Sekunde lang flogen sie durch die Luft, während Vadym und seine Freunde hinter ihnen ans Balkongeländer stürzten. Ihr Aufschrei gellte durch die Gasse. Dann fingen die prallen, blauen Müllsäcke ihren Aufprall auf. Einige der Säcke platzten und spien ihren Inhalt in hohem Bogen in die Luft. Es waren zerschredderte Dokumente, die wie Papierschlangen bei einer Parade auf sie herabregneten.
    Einige Atemzüge lang blieb Ravenna flach auf dem Rücken liegen. Der Himmel war klar, und das weiße Flugzeug kreiste in der Ferne über der Stadt. Ihre Glieder zitterten so sehr, dass sie sich nicht aufsetzen konnte. Sie rollte sich zur Seite und tastete nach Lucian.
    »Wo bist du? Geht es dir gut? Bist du okay?« Ihre Stimme überschlug sich, so panisch war sie. Zweimal binnen vierundzwanzig Stunden hatte ihr idiotischer Plan, am WizzQuizz teilzunehmen und durch diesen Auftritt Yvonnes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ihren Liebsten in Gefahr gebracht.
    Lucian lag auf dem Rücken und atmete genauso schwer wie sie. Auch er dachte nicht ans Aufstehen, sondern behielt die Hexer im Auge, die sie vom Balkon aus in wüstem Russisch beschimpften. Als Vadym und seine Freunde den Kameramann bemerkten, zogen sie sich in die Wohnung zurück und knallten die Fensterflügel hinter sich zu. Dadurch fiel auch das letzte Stückchen Glas aus dem Rahmen.
    »Mir fehlt nichts«, beruhigte Lucian sie nun. »Wirklich. Allerdings finde ich, wir sollten unsere Vorgehensweise ändern.« Mit dem Ärmel wischte er sich über die Stirn. Dort war noch immer der Abdruck der Revolvermündung zu sehen. Als er sich bewegte, rutschte eine Glasscherbe aus seinem Kragen.
    Ravenna fing hysterisch an zu lachen und schlug die Hände vors Gesicht. Als sie sich halbwegs beruhigt hatte, kramte sie ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase.
    »Du hast recht«, seufzte sie. »Ich sollte einen anderen Weg finden, das Siegel bei mir zu tragen. Am Handgelenk zieht es zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Aber wenigstens wissen wir jetzt, dass es in Paris ein Zeittor gibt, das noch funktioniert.«
    »Ja, das wissen wir jetzt«, seufzte Lucian. Er richtete sich auf und half ihr, von dem Abfallhaufen herunterzuklettern. Die Frau sammelte soeben ihre Einkäufe auf. Sie warf ihnen einen misstrauischen Blick zu und verschwand dann eilig in einem dunklen Hausgang.
    »Und wir wissen auch, dass sich Vadym mit Zahlenmystik beschäftigt«, fuhr Lucian fort, sobald sie auf der Straße standen. »Wahrscheinlich war er sich deshalb so sicher, den Koffer öffnen zu können. Er wollte seine mathematische Gabe an dem Ding ausprobieren.«
    »Hoffentlich reicht das für die Zusammenfassung heute Abend«, murmelte Ravenna, während sie dem Kameramann nachsah, der zur nächsten Métro-Station lief. Sein schwungvoller Gang hatte etwas Triumphierendes.
    Sie streifte sich eine Papierschlange aus den Haaren. »Ich schlage vor, dass wir

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