Tore nach Thulien 3 : Ferner Donner (German Edition)
Straße beobachtete. Shachin war hier, also war Berenghor woanders. Wie konnte es auch anders sein.
Und dann war da noch eine weitere Gestalt, klein und zerbrechlich wirkte sie. Tief in eine dicke Decke gewickelt saß sie neben dem noch immer von Odoak bearbeiteten Feuer und hielt einen kleinen Tonbecher mit beiden Händen fest umklammert. Ab und an nahm sie fröstelnd einen kleinen Schluck. Dazwischen sah sie sich immer wieder verschüchtert um. Sie bot nach wie vor einen bemitleidenswerten Anblick. Ihr Gesicht und die Hände waren Dank Linwen zwar inzwischen frei von Schmutz und Dreck, doch stachen die hohlen Wangenknochen unter der abgemagerten und ausgemergelten Haut noch genauso deutlich hervor wie gestern Abend. Die Decke verbarg den größten Teil ihres verfilzten, blonden Haares, und nur der Ansatz an der Stirn war zu erkennen.
Tristan war sehr gespannt, was dieses Mädchen zu erzählen hatte. Er wollte keine Minute länger warten. Odoak schickte er als Ablösung zu Berenghor und Shachin brauchte er nur anzusehen. Die Schattenkriegerin wusste genau, was er von ihr wollte, und mit einem Satz sprang sie vom Wagen, direkt an seine Seite. Der Leutnant musterte sie eingehend und gleichwohl er wusste, dass sie eine genauso lange, wenn nicht sogar noch längere Nacht als er hinter sich hatte, sah er ihr die Strapazen nur bedingt an. Für einen kurzen Moment fragte er sich ernsthaft, wie in aller Herrin Namen ihr das nur gelang. Weitaus brennender interessierte ihn jedoch, wo und wie sie die letzte Nacht verbracht hatte. Und natürlich, was jetzt mit den Schwarzen Skorpionen war. Immerhin hatten die nur eine Wegstunden von hier, in einer alten Gutshausruine mit dem Namen Holmann’s Hall, ihr Nest gebaut. Shachin sprach immer von Nest , und Tristan wollte es von nun an genauso nennen. Er fand es weitaus passender.
Die Schattenkriegerin schien ihm seine Fragen auch diesmal anzusehen, kam sie ihm doch zuvor, noch ehe er auch nur eine davon stellen konnte. >> Über die Skorpione sprechen wir später. Jetzt soll sie erstmal erzählen. << Shachin deutete mit dem Kopf in Richtung des Mädchens.
Tristan nickte. Die Tatsache, dass Shachin sich Zeit für diese Unterredung nahm und nicht auf einen sofortigen Aufbruch drängte, reichte ihm momentan vollkommen aus. >> Kommt mit Linwen, Ihr sollt bei der Befragung dabei sein. Es war immerhin Euer Gesicht, das sie als erstes sah. << Gemeinsam mit Tristan und Shachin ging die Wanderpredigerin zur Feuerstelle. Auf ein Zeichen seines Leutnants hin überließ Jorek das Feuer sich selbst. Der Gardist ging zurück zum Wagen und begann damit, ihn für die Abfahrt fertig zu machen.
Das junge Mädchen sah auf, als sich Tristan und Linwen zu ihr an die Feuerstelle setzten. Auf Tristan wirkte sie irgendwie deplatziert und dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie plötzlich damit begann, nervös auf ihrem Platz ein paar Mal hin und her zu rutschen. Schüchtern sah sie in die Runde, wohl ahnend, dass sie nun für einige Zeit im Mittelpunkt stehen würde.
>> Hier, du wirst sicher hungrig sein. << Tristan hatte in einer der Versorgungstaschen nahe des Feuers gekramt, und reichte ihr ein Stückchen Brot und einen alten, schrumpeligen Apfel vom letzten Herbst. Anfangs reagierte sie gar nicht darauf, doch dann stellte sie den Tonkrug langsam beiseite, und ließ Brot und Apfel von da an nicht mehr aus den Augen. Erst zögerlich, dann jedoch ganz plötzlich, griff sie mit ausgehungertem Blick nach dem Essen, und begann sofort, beides abwechselnd in sich hineinzustopfen. Lange dauerte es nicht, und sowohl Brot als auch Apfel waren bis auf den letzten Krümel aufgegessen. Linwen wollte gleich für Nachschub sorgen, Tristan aber legte eine Hand auf den Beutel und schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie hatten ihr gezeigt, dass sie ihnen vertrauen konnte. Jetzt war es an der Zeit, dass sie ebenso handelte. Linwens missbilligender Blick zeigte ihm, was die Wanderpredigerin von diesem Spielchen hielt, doch Tristan ließ sich nicht beirren. Er war für den erfolgreichen Ausgang dieser Reise verantwortlich, und jetzt war es an ihm, festzustellen, welche Gefahren der Expedition aus dem Schicksal dieses Mädchens noch erwachsen konnten. Selbstverständlich sorgte er sich auch um ihr Wohlergehen, das gebot allein schon der Glaube an die Herrin, doch an allererster Stelle kam für ihn die Sicherheit der Reise. Ihr hatte sich
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