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Tore nach Thulien 3 : Ferner Donner (German Edition)

Tore nach Thulien 3 : Ferner Donner (German Edition)

Titel: Tore nach Thulien 3 : Ferner Donner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kohlmeyer
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grünen Hügeln, die auch Holmanns Hall auf ihrem Rücken trugen. Sie ging abseits der Straße und nutzte dabei jede Deckung gekonnt aus. Hohes Buschwerk säumte den Rand der wenigen, von Menschenhand bestellten Felder und immer wieder durchbrachen kleine Wäldchen das graugrüne und braune Einerlei des Leuenburger Beckens. Höfe oder Weiler sah sie nur weit entfernt am östlichen Horizont. Ihre Zahl war überschaubar, und je weiter sie nach Westen kam, umso weniger wurden es. Die Wildnis nahm langsam aber sicher zu, und Shachin fragte sich ernsthaft, was die Leute nur dazu bewog, hier draußen in dieser Einöde zu leben. Einsamkeit und Stille fand man auch woanders.
          Irgendwann begann das Gelände leicht anzusteigen und Shachin wusste, dass es nun nicht mehr weit war. Sie hatte sich dazu entschlossen, einen letzten Blick ins Nest zu werfen. Sie wollte wissen, ob die Skorpione überhaupt noch da waren, und wenn ja, wie es Rianas Vater ging. Natürlich war es riskant, und die Stimme der Vernunft ermahnte sie lautstark, auf die Verhältnismäßigkeit ihrer Taten zu achten. Eigentlich war ein Besuch bei den Skorpionen nicht mehr notwendig, aber Shachin konnte dem Impuls einfach nicht widerstehen. Am Ende beruhigte sie sich mit einer alten Kriegerweisheit und schob die Zweifel an der Ausgewogenheit ihrer Entscheidung einfach beiseite. Schon ihr Meister hatte ihr erklärt, dass es gut war, dem Feind manchmal aus dem Weg zu gehen, es jedoch weitaus besser sei, ihn dabei stets im Auge zu behalten.
          Vorsichtig und hoch konzentriert kam sie dem alten Gemäuer immer näher. Anfangs nur ein kleiner, dunkler Flecken am Horizont, zeichnete es sich bald deutlich vor dem blauen Himmel ab. Die Ruine stand auf einem breiten Vorsprung der Hügelkette, dessen Vorderseite steil und schroff einige Meter in die Tiefe stürzte. Links daneben führte ein alter, überwucherter Pfad auf die Anhöhe und rechts der Ruine fochten die alten, ausgebrochenen Steine einen Kampf mit wildgewachsenen Bäumen und Sträuchern aus. Auf Dauer konnten sie ihn nur verlieren.
          Shachin blieb stehen und verbarg sich etwa zweihundert Schritte entfernt im Schatten einer kleinen Baumgruppe. Sie war so nah wie möglich an das Nest herangekommen. Mehr ließ das Tageslicht nicht zu, und weiter wagte sie jetzt auch nicht zu gehen. Sie musste warten. Bald kam die Dämmerung und mit ihr eine alte, lieb gewonnene Verbündete: die Nacht. Sie war Shachin schon vor langer Zeit zur liebsten Schwester geworden. Eine treue und zuverlässige Gefährtin, mit der sie immer rechnen konnte. Mochte der Tag auch noch so anstrengend oder schrecklich gewesen sein, die Nacht breitete jeden Abend aufs Neue ihr dunkles Kleid über der Welt aus, und nichts und niemand konnte sich ihm entziehen. Shachin würde warten und sich ihr Gnadentuch dann voller Hingabe und Vertrauen über die Schultern legen. Sie würde sich darin einhüllen, eins mit ihm werden und am Ende selbst die Schatten wie grelle Leuchtfeuer aussehen lassen.
          Elegant und ohne jede Mühe kletterte Shachin auf einen der Bäume. Sie hatte sich einen großen in der Mitte der Gruppe ausgesucht. Die Knospen an den Zweigen waren bereits geöffnet und kleine, zarte Blätter streckten ihre Spitzen in die kühle Nachmittagsluft. Dank der Äste der übrigen Bäume war sie dort oben hervorragend vor unliebsamen Blicken geschützt.
          Die Stunden vergingen quälend langsam, und erst als die Schatten lang und die Sonne nur noch eine halbrunde, orangerote Scheibe am Horizont war, verließ sie ihr grünes, nach Harz und Rinde riechendes Versteck. Wieder ging sie in die Hocke und sondierte das Vorfeld bis zur Ruine. Nichts rührte sich und kein Laut war zu hören. Ab und an pfiff ein frischer Wind von der Leue kommend über die Anhöhe und ließ die dünnen Grashalme der wilden Weiden und Wiesen hin und her wiegen. Der Pfad links lag allein und verlassen da, und der Kampf zwischen Mauerwerk und Natur auf der anderen Seite verwandelte sich mehr und mehr in konturloses Grau.
          Die Zeit war gekommen und Shachin brach auf. Sie hielt sich rechts und huschte rasch über das freie Feld bis zum Fuß des felsigen Vorsprungs. Dort schmiegte sie sich an den kalten Stein und wartete. So nahe war sie dem Nest noch nie gekommen und leichte Anspannung stieg in ihr hoch. Von hier aus war die Ruine nicht mehr zusehen, im Gegenzug aber auch ihre Position von oben unentdeckt. Soweit so gut. Shachin

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