Tore nach Thulien 4 : Grüfte und Katakomben (German Edition)
gar nicht erst stellen. Er nahm sich fest vor, so viel Mensch wie möglich zu bleiben und weiterhin nach der Herrin Wohlgefallen zu streben. Mehr konnte er im Moment nicht tun, und ganz, da war er sich auch sicher, würde es ihm sowieso nicht gelingen. Einen Versuch jedoch war es allemal wert.
>> Was lässt dich nicht schlafen, mein Schatz? << Ilsas Worte durchbrachen abrupt seine düsteren Gedanken und holten ihn jäh in die Gegenwart der kalten, feuchten Nacht zurück. Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie inzwischen wach neben ihm lag. Ihre Stimme war unglaublich warm und zärtlich, und machte die widrigen Umstände klein und unbedeutend.
Er sah in ihre braunen, unendlich tiefen Augen und schüttelte dann sachte den Kopf. >> Es ist nichts. Nur die Anstrengungen der vergangenen Tage. << Ilsa`s Los war schon jetzt kein Leichtes, und er wollte ihr nicht noch mehr Sorgen aufladen als es eh schon jeden Tag aufs Neue passierte.
Sie lächelte. >> Du warst, der Herrin sei Dank, schon immer ein schlechter Lügner, Liam. << Sie musterte ihn eingehend und rutschte noch ein Stückchen näher. Ihre Lippen berührten sich fast. >> Es sind meine Worte über Balkor, nicht wahr? <<
Liam drehte sich kurz auf den Rücken, rieb sich mit einer Hand übers Gesicht und fuhr ihr anschließend zärtlich durchs Haar. Sorgenvoll lastete sein Blick dabei auf ihr. >> Man darf nicht leichtfertig über ein Leben entscheiden. <<
>> Das habe ich nicht. Doch wenn es um dich und Nalia geht, wird Vieles mit einem Mal klar und einfach. Balkor macht mir Angst, und nur die alte Dorfgemeinschaft in den Köpfen der Leute hält ihn noch davon ab, mit uns so umzuspringen wie mit den Neuen. Je größer die Gefahr, umso kleiner sein Sinn für alte Bande. Irgendwann kommt der Tag, da denkt er nur noch an sich selbst. Ich möchte nicht darauf warten, Liam. <<
>> Ich auch nicht. << Er hielt kurz inne und dachte nach. Die Erinnerung an den heutigen Abend war noch sehr lebendig und er hatte Wanholds zu allem entschlossenen Blick nicht vergessen. >> Anfangs meinte ich, entsetzt zu sein, doch erst im Nachhinein wurde mir klar, dass ein Teil von mir den Kampf zwischen Wanhold und Balkor heute Abend herbeigesehnt hat. Ich frage mich nur, ob das der richtige Weg ist. Der wahre Feind ist dort draußen und wir sollten uns nicht gegenseitig bekämpfen. << Liam seufzte und atmete tief ein.
Ilsa griff nach seiner Hand und legte sie auf ihre Brust. >> Du bist mein Mann, Liam, und der Vater meiner Tochter. Liebe brachte uns zusammen, Liebe formte unser Fleisch und Blut, und Liebe wird uns vor der Dunkelheit beschützen. Liebe treibt uns an. Wie in der Herrin Namen könnte sie uns fehl leiten? <<
Lange sah er ihr im Mondlicht in die Augen und ihre Worte hallten in seinen Gedanken nach. Er wusste genau, was sie ihm damit sagen wollte und sein Verstand gab ihr Recht. Sein Herz jedoch konnte sich damit nicht zufrieden geben. Zweifel lagen in seinem Blick.
Einen Moment später stand Ilsa auf, griff nach seiner Hand und zog ihn hoch. Überrascht und ohne zu wissen, wie ihm geschah, ließ er sie machen. Stumm und mit einem Finger auf den Lippen gab sie ihm zu verstehen, ihr leise zu folgen. Nach einem kurzen Blick auf Nalia, der ihm verriet, dass die Kleine noch schlief, schlich er irritiert und neugierig zugleich zwischen den Schlafenden hindurch. Lautlos, und darauf bedacht, niemanden zu wecken, entfernte er sich von der wärmenden Feuerstelle und folgte Ilsa zum grauen Saum des Waldes. Die wenigen Stunden der Ruhe waren kostbar, und auch wenn sie ihm heute nicht vergönnt zu sein schienen, so wollte er sie den anderen doch lassen.
Ilsa führte ihn aus dem Lager heraus und in den Wald. Der Mond leuchtete hell. Er tauchte die Stämme und Äste in silbernes Licht und legte eine grau schimmernde Spur auf den weichen Boden. Es dauerte nicht lange und vom Feuerschein war nur noch ein dumpfes, verblassendes Glimmen zu sehen. Ilsa hielt an und drehte sich um. Sie standen auf einem mit saftigem Moos überwucherten Flecken inmitten uralter Eichen. Unmengen kleiner Tautropfen durchzogen den graugrün schimmernden Boden und ein Hauch von Nebel schwebte unweit darüber.
Stumm sah Liam zu seiner Frau. Die langen, braunen Haare fielen ihr in fingerdicken Strähnen über die Schultern, und selbst die dunkle, kalte Atmosphäre des nächtlichen Waldes konnte ihrer
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