Tore nach Thulien 4 : Grüfte und Katakomben (German Edition)
Handschuhs hängen. Schnell verbarg er die unheilvollen Zeichen seiner Verwundung vor den Blicken Aduns, der ihn argwöhnisch und voller Sorge ansah. Was er jetzt am allerwenigsten gebrauchen konnte, war einen Leibwächter, der ihn ständig ermahnte, sich zu schonen und zurückzunehmen. Adun hatte Recht, wenn er sagte, dass er jetzt mehr denn je gebraucht wurde und insofern konnte er sich nach außen sichtbare Schwächen nicht leisten, selbst wenn sie von einer Verwundung herrührten.
Im nächsten Moment gab er Kalisto mit leichtem Schenkeldruck zu verstehen, dass es Zeit war, aufzubrechen. Ergeben setzte sich der große Hengst in Bewegung. Adun und die beiden anderen Wachen folgten ihnen. Plötzlich surrte es wieder durch die Luft und Grodwig legte sich weit über den Hals des Pferdes. Scheinbar waren die übrig gebliebenen Soldaten Leuenburgs überwältigt worden, schossen doch die schwarzen Skorpione in einem letzten Versuch noch einmal Bolzen auf sie ab. Gefährlich wurde ihnen jedoch keines der gefiederten, fingerdicken Geschosse, und schnell waren sie aus deren Reichweite verschwunden. Insgesamt hatte sie der Hinterhalt über ein ganzes Stundenglas Zeit gekostet, und mehr als ein Dutzend der besten Krieger Leuenburgs würden diesen Ort nie wieder verlassen. Innerlich vom ehrenhaften, aber auch zutiefst traurigen Schicksal seiner Garde zerrissen, trieb Grodwig Kalisto mit größter Eile durch den Wald von Eichenbruch. Er nahm sich fest vor, diesen Kriegern die Ewigkeit zum Geschenk werden zu lassen und ihre Namen in den Stein der Halle der Gewaltigen zu Leuenburg zu meißeln. Ihnen verdankte er sein Leben und nur durch ihren Opfergang bekam er die Möglichkeit, dem drohenden Schatten am Horizont entgegenzutreten. Der Westen des Reiches war in Aufruhr und bald würde er brennen, da war sich Grodwig sicher. Thulien war in seinen Grundfesten erschüttert und das leise, unterschwellige Grollen nur der Vorbote für das große Beben, das alles verändern und nichts mehr so sein lassen würde, wie es war. Entschlossen stemmte sich Grodwig in die Steigbügel des Sattels und die Hufe Kalistos flogen förmlich über den morastigen Waldboden. Er konnte spüren, wie ihn seine Kräfte langsam verließen und hoffte, sie würden es noch rechtzeitig schaffen.
Schlaflos
Liam konnte nicht einschlafen und lag ruhelos neben Ilsa im Laub. Die schmale Decke hatte er ihr behutsam über die Schultern gelegt und die Arme fest um sie geschlungen. Sie atmete ruhig und gleichmäßig. Er konnte ihren Atem spüren und fühlte die Wärme, die von ihr ausging. Seine Gedanken wollten in dieser Nacht einfach nicht zur Ruhe kommen, und gleichwohl der Körper müde und entkräftet war, fand er keinen Schlaf. Er dachte unentwegt an die bleichen Verfolger und fragte sich, wer oder was sie waren, woher sie kamen und was sie wollten. Außerdem fühlte er sich jetzt, da die Schatten der Nacht drohend und unheilvoll näher rückten, herausgerissen und entwurzelt, hilflos in einen abgründigen Strudel geworfen, ohne jede Aussicht auf Rettung. Seit ihrer Flucht veränderten sich die Eindrücke der Vergangenheit und traten mit jedem weiteren Tag mehr und mehr ins Unwirkliche. Das alte Leben hatte sich mit einem Schlag verabschiedet, war verschwunden, verblutet, gestorben, und am Ende in der Feuersbrunst der Hütten verbrannt. Das Dorf war nicht mehr, und viele der Überlebenden, wenn nicht gar alle, nur noch ein Schatten ihrer Selbst. Auch wenn es nach außen anders wirken mochte. Genau genommen hatte sich ihr Lebenshorizont mit jedem Tag verkleinert und am Ende lediglich auf zwei wesentliche Dinge reduziert: Fliehen und Überleben. Ihr ganzes Wirken und Handeln, der Alltag der Flucht, und selbst die kleinsten Entscheidungen innerhalb der Gruppe drehten sich einzig und allein um den Fortbestand ihrer Gemeinschaft. Und genau die wurde nun auch noch in ihren Grundfesten erschüttert.
Die Sache mit Balkor und den Neuankömmlingen hatte gezeigt, wie dünn doch die Bande in Zeiten größter Not wirklich waren, und wie schnell die Gebote der Herrin mit Füßen getreten wurden. Liam fand die Entwicklung bedenklich, doch fürchtete er sich gleichzeitig auch vor den eigenen Abgründen. Heute war er ihnen das erste Mal begegnet, und das nicht einmal in Gegenwart des Feindes. Er hatte Angst vor dem tiefen Schwarz auf ihrem Grund, und die Frage, was in Zukunft womöglich noch alles aus ihnen erwachsen konnte, wollte er sich
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