Torso
er und legte auf. Zollanger hätte gerne gewusst, warum Krawczik ihm eigentlich immer so schnell auf die Nerven ging. War es der Ehrgeiz des Hessen? Oder das Feiste, Bübische an ihm? Er war ja ein netter Kerl. Aber Zollanger konnte machen, was er wollte, die Chemie zwischen ihnen stimmte einfach nicht.
Dann fand er den Zettel.
Re: Ihr Termin heute 10:00 Uhr mit Elin Hilger, Schwester des Verstorbenen Eric Hilger (Selbsttötung/Aktenzeichen 1 Kap Js 3412/01). Bez. Hilger um 11:08 Uhr in Ihrer Abwesenheit empfangen und an Staatsanwaltschaft verwiesen. Wird vermutlich nicht erneut vorstellig werden. Gez. Wilkes.
Er las die Nachricht zwei Mal. Er griff zum Telefonhörer, wählte Tanja Wilkes Apparatnummer, legte jedoch wieder auf, bevor sie antwortete. Er schaute aus dem Fenster. Der Himmel war schmutziggrau. Die Luft sah aus wie geronnenes Tageslicht, ein trübes, weißliches Gelee.
Er drückte die Tasten erneut.
»Hat sie gesagt, was sie will?«, fragte er die Sekretärin.
»Sie wollte mit Ihnen über ihren Bruder reden. Eric Hilger. Selbsttötung.«
»Ja. Ich weiß. Aber was genau wollte sie denn?«
»Das Übliche. Sie meint, die Polizei hätte schlecht ermittelt.«
Zollanger hängte auf. Er stand auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. Er fühlte sich unwohl. Sein Magen knurrte. Er hätte doch etwas essen sollen. Aber zugleich wusste er sehr gut, dass es andere Gründe gab, warum er ratlos und zweifelnd hier am Fenster stand.
Nach einer Weile bemerkte er, dass er die Notiz in seiner rechten Hand zerknüllt hatte. Er faltete sie wieder auf, strich sie glatt und las sie mehrmals durch. Sie würde wiederkommen, dachte er. Sie würde nicht aufgeben. Und er? Was sollte er tun?
[home]
10
S ind Sie bereit?«
Niemand antwortete, denn es war eine rhetorische Frage. Dr. Weyrich stand zwischen zwei Edelstahltischen. Der Torso lag zu seiner Linken. Auf dem anderen Tisch befanden sich der Ziegenkopf und das Lamm.
Zollanger, Udo Brenner und Sina Haas standen am Fußende des Tisches, auf dem der Torso aufgebahrt war, Staatsanwalt Frieser an dessen Längsseite. Weyrichs sachliche, monotone Stimme verlieh dem Vorgang etwas Geschäftsmäßiges, als betrachte man keine bestialisch zugerichtete Frauenleiche, sondern ein interessantes anthropologisches Fundstück. Zollanger vernahm mit Erleichterung, dass die Frau erst nach dem Eintreten des Todes zerlegt worden war. Der Todeszeitpunkt war völlig ungewiss. Die Leiche war eingefroren worden, was eine Todeszeitbestimmung so gut wie unmöglich machte.
»Kann man die Zeiträume nicht schätzen?«, wollte Frieser wissen.
»Recht sicher ist, dass der Körper zwischen achtundvierzig und zweiundsiebzig Stunden nach Todeseintritt eingefroren wurde.« Weyrich deutete auf einen Bereich in der Nähe des Blinddarms. Die ansonsten weißliche Haut schimmerte hier grünlich wie angefaultes Fleisch. Dann wies der Mediziner auf eine Stelle an der Schulter, wo sich unter der Haut violette Verästelungen abzeichneten. Es sah fast aus, als sei die Frau dort tätowiert gewesen.
»Hier sehen wir Grünfäule und durchschlagende Venennetze, was die Zeitschätzung bestätigt. Auf dem Arm setzen sie sich übrigens fort, was uns die Zuordnung des Armes zu diesem Rumpf erleichtert. Die Leiche wurde zwei oder drei Tage nach Todeseintritt eingefroren und dann zerlegt. Aber wie lange das her ist, kann ich nicht feststellen.«
»Und sie ist mit Sicherheit ertrunken?«, fragte Sina Haas.
»Ja. Der Lungenbefund ist eindeutig. Und wie Sie alle wissen, ist der Nachweis von Fremdverschulden bei dieser Todesart so gut wie unmöglich. Weder am Hals noch im Brust- oder Bauchbereich sind Verletzungen zu erkennen. Da der Kopf entfernt wurde, erübrigt sich die Suche nach Würgemalen. Der Rumpf weist weder Schürfwunden noch Blutergüsse oder Prellungen auf. Die junge Frau ist hellhäutig. Von Körperbau und Knochenstruktur ist sie Europäerin. Genauer kann ich ihre Herkunft nicht bestimmen. Nach der Knochentabelle war sie recht groß, zirka einen Meter siebzig bis fünfundsiebzig. Ich habe nur eine einzige Auffälligkeit zu berichten: eine etwa einen Zentimeter lange, subkutan vernähte Narbe auf dem Rücken.«
»Und was sagt uns das?«, fragte Udo Brenner.
»Die Dame war vermutlich besser krankenversichert als Sie.«
Brenner runzelte die Stirn. »Was meinen Sie denn damit?«, fragte Staatsanwalt Frieser.
»Wahrscheinlich wurde hier vor geraumer Zeit ein Muttermal entfernt. Bei Kassenpatienten sieht
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