Torso
Erkenntnis helfen?«
»Es ist ein Faktor, wenn man die Tatorte zueinander ins Verhältnis setzt. Es entstehen unterschiedliche Muster.«
Brenner schob die Unterlippe vor, was ihm, wie Sina fand, nicht gut stand. Glücklicherweise sprach er gleich weiter.
»Dazu muss man aber wissen, welche Taten vom gleichen Täter begangen wurden.«
»Klar. Irgendetwas muss man immer wissen. Sonst kann man nicht anfangen zu analysieren.«
Er stand auf, ging um den Tisch herum, blieb neben ihr stehen und betrachtete die Aufsätze, die vor ihr lagen.
»Darf ich mal sehen?«, fragte er.
»Klar. Bitte.«
»Zur Abgrenzung defensiver, offensiver, nekrophiler und inszenatorischer Leichenzerstückelung«,
las er. »
Leichenschändung als Protesthaltung.
Criminal mutilation of the human body in Sweden.
Mannomann, Sina. Also wenn du mich fragst, dann ist ja genau das die Scheiße mit der Wissenschaft. Nachher ist man immer schlauer.«
Sina lächelte gequält. Sie hätte längst nach Hause gehen sollen. Aber Hendrik war übers Wochenende zu seinen Eltern gefahren. Zu Hause war niemand. Und außerdem beschäftigte sie der Tag noch. Freitagabend hin oder her.
»Udo, ist irgendetwas?«
Er griff nach dem nächsten Dokument, einem Bericht, aus dem ziemlich viele gelbe Haftnotizen herausschauten.
»
Vorläufiger Abschlussbericht der Sonderkommission ›Torso‹. Hannover, 14. August 1979.
Was ist denn das?«, fragte er. »Klingt ja ganz vertraut.«
Sina überlegte. Sie kannte Udo. Er kam nie direkt zur Sache. Irgendetwas schien ihm quer zu sitzen.
»Es gibt Parallelen«, sagte sie, »War aber ein ganz anderer Fall.«
»Erzähl doch mal.«
Er legte die Dokumente wieder hin und kehrte auf seinen Platz zurück.
»Im September 1975 wurde in den Fanggittern eines Kraftwerks bei Hannover eine weibliche Leiche angeschwemmt«, sagte Sina. »Kopf, Hals sowie beide Arme fehlten. Die Bauchdecke war durch mehrere Schnitte geöffnet worden. Die Todesursache konnte nicht nachgewiesen werden.«
»Schon toll«, sagte Udo. »Wofür bezahlen wir diese Leichenschnippler eigentlich?«
»Die Frau war dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt. Knapp fünf Monate später, im Januar 1976, fand man den nächsten Torso. Die linke Hälfte an einer Ausfallstraße, die rechte etwa hundert Meter entfernt am Fuß einer Böschung. Es war wieder einer weibliche Leiche. Identität nicht feststellbar. Das Opfer war Anfang zwanzig. Im Juni wurden wieder Körperteile an der ersten Fundstelle entdeckt. Zwei Unterarme mit Hand, zwei Oberarme, zwei Unterschenkel und ein Fuß.«
»Na prächtig.«
»Diesmal stammten die Körperteile von einem Mann. Um die vierzig, eins achtzig groß. Mehr war nicht herauszufinden. Die Polizei tappte völlig im Dunkeln. Handelte es sich um Gewaltopfer? War der Täter ein Mörder oder nur ein Leichenschänder? War das Ganze ein Jux?«
»Ein Jux?!«
»Ja. So stand es damals in der Zeitung. Die Leichenteilfunde zogen sich über den ganzen Sommer. Im Juni fand man den linken Unterarm eines Mannes auf einer Wiese. Im Juli entdeckte eine Spaziergängerin in einem Waldstück den Unterleib einer Frau, der dort weniger als vierundzwanzig Stunden zuvor abgelegt worden war. Willst du noch mehr hören?«
»Nein, du kannst es auch zusammenfassen.«
Sina blätterte ans Ende der Studie, wo sie sich ein paar Notizen gemacht hatte.
»In einem Zeitraum von etwa zwei Jahren fand man fünfzehn Teile von fünf verschiedenen Leichen. Der Täter hatte sie alle in einem Umkreis von nur etwa zwei Kilometern unweit der Polizeidirektion in einem großstädtischen Gebiet abgelegt. Nach zwei Jahren war noch immer keine einzige Leiche identifiziert. Noch nicht einmal die Todesursache der Opfer war bekannt. Das änderte sich erst mit dem letzten Fall. Am 17. Dezember 1977 stolperte ein Jogger neben der Landstraße von Hannover nach Wunstorf über einen weiblichen Torso. Kopf, Arme und Beine fehlten. Das Opfer war eine dreißig- oder vierzigjährige Frau. Bei der Obduktion fand man einen Brustkorbdurchschuss, Einschüsse am Rücken rechts auf Höhe des achten Brustwirbelkörpers und in Höhe des Lendenwirbelkörpers. Wer die Frau war, konnte allerdings auch diesmal nicht ermittelt werden. Danach war erst einmal Schluss.«
Sina klappte die Studie wieder zu.
»Und?«, fragte Brenner. »Wer war’s? Ein Streuner oder ein Pendler?«
»Keine Ahnung«, sagte Sina und ignorierte die Anspielung. »In den letzten fünfundzwanzig Jahren hat es niemand
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